|
|
|
|
Josef Herzog bei der Konstruktion des Typhoon
Fahrzeuges am CAD Arbeitsplatz |
|
"Gerade einmal sechs Monate waren veranschlagt, um den
ersten Euro-Fighter von Grund auf neu zu entwerfen", erinnert
sich Gerstlauer Konstrukteur Josef Herzog. Im Frühjahr 2003
wurde dieser der Öffentlichkeit im dänischen Bonbon Land
vorgestellt, und keine zwölf Monate später folgt die
zweite Bahn. Typhoon nutzt die gleichen Fahrzeuge, Bremsen und
Antriebe, ist nur ein ganzes Stück komplexer.
Berechnungen wurden angestellt, Hunderte von
Einzelbauteilzeichnungen mittels eines computerunterstützten,
technischen Zeichenprogramms - kurz CAD - erstellt und Zulieferer
ausfindig gemacht. "Bis wir beispielsweise die richtige Kette
für den neuen Liftturm gefunden haben, wurden Dutzende
Produktkataloge gewälzt und diverse Gespräche mit
potenziellen Zulieferern geführt", so Siegfried
Gerstlauer. Für die Gerstlauer Elektro GmbH ist
die Realisierung einer Achterbahn das tägliche Geschäft,
für andere Unternehmen eine äußerst ungewöhnliche
Unternehmung.
Eine Achterbahn will gut durchdacht sein: Ohne
Fertigungszeichnungen und Dokumentation der Berechnungen kann
keine derartige Anlage ihren Betrieb aufnehmen. Eine entsprechende
Koordinierung darf dabei nicht fehlen. Folglich entsteht vor jedem
Projektbeginn eine Planungsübersicht, die kausale Zusammenhänge
und zeitliche Abläufe miteinander vereint: Beispielsweise
kann die Schiene erst gefertigt werden, wenn sämtliche
Berechnungen abgeschlossen sind. Für die Auslegung des Tracklayouts
muss eine klare Schnittstelle zwischen dem Fahrzeug und der
Schiene definiert werden: So ist beispielsweise zu klären,
welche Figuren und Fahrverläufe die Wagen überhaupt bewältigen
können. "Je nach Kapazitätsauslastung beauftragen
wir weitere Ingenieurbüros", erläutert Siegfried
Gerstlauer die Situation. Bei einem in der
Unternehmensgeschichte rekordverdächtigen Anlagenoutput von
sechs Bahnen für die Saison 2004 wollen die Aufgaben auf die
30 Mitarbeiter gut verteilt werden. |
|
|
. |
|
|
|
Am Anfang der Prozesskette steht die Grundidee des Layouts.
Danach folgt die Überlegung, wie das Fahrzeug ausgestaltet
wird, inklusive der Konstruktion und Entwicklung des Fahrwerks.
Bei der konstruktiven Gestaltung der Bauteile spielen
Betriebsfestigkeitsnachweise eine entscheidende Rolle. Erst wenn für
die Bauteile je nach ihrer Belastung ein mathematischer
Festigkeitsnachweis erbracht werden konnte, kann die Fertigung
beginnen. Der entsprechende Stand der Technik ist in Normungen wie
der Deutschen Industrie Norm (DIN) oder der Europäischen Norm
(EN) aufbereitet.
Das Universalwerkzeug des Konstrukteurs ist das CAD, welches das
klassische Zeichenbrett und den Tuschekasten gänzlich verdrängt
hat: Am Computer sind Änderungen schneller realisierbar,
Normteile wie Schrauben, Federn oder Muttern können aus
Datenbanken eingefügt werden und die für den Einkauf
notwendigen Stücklisten - eine Art Bestellliste - können
aus den Zeichnungen abgeleitet werden. Eine Loopingbahn
wie Typhoon besteht aus Tausenden von Einzelteilen - ein
wahrlich komplexes "Puzzlespiel", welches dem
Konstrukteur einiges abverlangt. Ein Ausbildungsberuf oder Studium
zum "Achterbahnbauer" sucht man vergeblich, vielmehr
verlangt der Tätigkeitsbereich eine interdisziplinäre
Ausrichtung auf weite Bereiche des Stahl- und Maschinenbaus wie
auch der Elektrotechnik. "Heute arbeitet man am Fahrzeug und
morgen steht die Auslegung der Sohle auf dem Programm", fasst
Josef Herzog sein Aufgabengebiet schmunzelnd zusammen.
Nach der Spezifikation des Fahrzeugs beginnt die Ausgestaltung
des Layouts. Zuerst nur hinsichtlich der Belastungen auf die
Mitfahrer, in weiteren Schritten dann auch bezogen auf die
Stahlkonstruktion selber. Das Ziel der Konstrukteure ist es, die
Idee und das angedachte Streckenlayout nach dem Stand der Technik
umzusetzen. Festigkeitsnachweise wollen erbracht werden,
Sicherheitsmechanismen ausgelegt sowie Bauteile dimensioniert und
ausgestaltet. Ein Netz aus Stahlpylonen hält die Achterbahn
zusammen und leitet die hochdynamischen Lasten sicher ins
Erdreich. Entsprechende Fertigungsanweisungen werden aus
mathematischen Berechnungen abgeleitet. Dabei soll das System
Achterbahn an die Extreme gehen und gleichzeitig den
Sicherheitsbestimmungen entsprechen - Sicherheit beim Bau von
Vergnügungsanlagen wird groß geschrieben, daher wird
auch schon frühzeitig, beginnend mit der Entwicklungsphase,
mit dem TÜV zusammengearbeitet. |
|
|
. |
|
|
|
|
Übersicht Layout - Von der Skizze
zu den Fertigungsdaten |
Das Layout ist der geometrische Entwurf
des Schienenweges, der die genaue Abfolge von Ab- und
Auffahrten wie auch Inversionen abbildet. Die
zeichnerische Darstellung besteht aus Grundriss und
Fahrbahnabwicklung. |
|
Grundriss: Fahrstrecke und Herzlinie
sind abgebildet - Vergrößerung mit
Linksklick |
Der Grundriss zeigt den Schienenverlauf
aus der Luft betrachtet, während die
Fahrbahnabwicklung den Streckenverlauf abgerollt in
der Ebene darstellt. Dabei ist der Höhenverlauf
ersichtlich. Angaben wie Neigungswinkel, Radien und
Aufstützpunkte werden u.a. als Zahlenwerte
dargestellt. |
|
Fahrbahnabwicklung - Vergrößerung
mit Linksklick |
Das 3D-Layout ist eine Kombination aus
Grundriss und Fahrbahnabwicklung. Dieses ergibt sich,
wenn die Abwicklung ausgeschnitten und auf den
Grundriss aufgeklebt würde. Ein derartiges
3D-Modell dient primär der Visualisierung des
Schienenverlaufes. |
|
3D-Layout - Vergrößerung
mit Linksklick |
Das Layout ist als Teil des
Designprozesses das Ergebnis der Berechnung und
Gestaltung des Fahrweges nach kinematischen und
kinetischen Gesichtspunkten. Dieser Arbeitsbereich -
Dynamics genannt - betrachtet Geschwindigkeiten,
Beschleunigungen und die durch bewegte Massen
entstehenden Kräfte. Im Hause Stengel werden
diese Berechnungen in Bezug auf den Fahrgast, das
Fahrzeug und die Schiene durchgeführt, um
Maximalbelastungen zu bestimmen, welche die Verträglichkeit
für den Fahrgast sicherstellen und als Grundlage
für die Auslegung des Tragwerks dienen.
|
Neben dem Layout und den Dynamics ist die
Statik der dritte Teilbereich des Achterbahndesigns.
Dabei wird die Stützkonstruktion ausgelegt, die
notwendigen Querschnitte der Pylone bestimmt und die
Sohle ausgelegt, um die dynamischen Lasten des
Achterbahnzuges - bis zu mehrere Tonnen - und das
Eigengewicht der Stahlstruktur sicher aufzunehmen.
Erst wenn der Betriebsfestigkeitsnachweis der
Stahlkonstruktion erbracht wurde - dieser schließt
bis zu 100 Millionen Lastspiele, also 100 Millionen
Achterbahnfahrten ein - kann diese in Produktion
gehen. |
|
|
|
|
Werner Stengel |
|
Dieses Bestreben teilt auch das Ingenieurbüro Stengel
in seiner fast 40-jährigen Geschichte: Der diplomierte
Bauingenieur Werner Stengel gilt als der "Herr des
Schreckens" und war bisher an rund 600 Achterbahnen
beteiligt. Das Tätigkeitsfeld seines zehnköpfigen Teams
besteht in der exakten Auslegung des Schienenlayouts anhand
dynamischer Berechnungen, beinhaltet die Statik und die Berechnung
der Fundamentlasten. Auch die Firma Gerstlauer nutzt die
Dienstleistungen des Münchner Ingenieurbüros, welches
schon für alle renommierten Achterbahnhersteller tätig
war.
Ausgangspunkt der Layoutüberlegungen bei Typhoon
war die Grobgestaltung der Sohle und der Schienenabwicklung, auf
denen das Drahtmodell für die Messepräsentation
basierte. "Dadurch, dass das Ingenieurbüro Stengel ein
Layout von uns bekommt, sind unsere Vorstellungen klar definiert",
erzählt Siegfried Gerstlauer. "Zusätzlich
erfolgten vor der Projektvergabe Voruntersuchungen für unser
neues Fahrzeug, die unter anderem die maximal möglichen
Beschleunigungen und die minimalen Schienenradien festlegen."
Eine klare Schnittstellendefinition regelt von Anfang an die
Zusammenarbeit: "Das weitere Fahrzeugdesign wie auch das
Layout haben sich daran zu orientieren", kommentiert Siegfried
Gerstlauer.
Das Ingenieurbüro Stengel optimiert mittels ausgeklügelter,
numerischer Rechenalgorithmen die Schiene im Computer derart, dass
die Beschleunigungen
für die Fahrgäste im Rahmen des Verträglichen
bleiben. Jede Änderung der Richtung bewirkt eine
Beschleunigungskomponente, und jedes Achterbahnlayout bietet diese
zur Genüge: Kurven, Abfahrten, Steilkurven und
Inversionsfiguren wollen auf ihre Fahrbarkeit hin untersucht
werden. Dabei greift das Ingenieurbüro Stengel auf
einen weitreichenden Erfahrungsschatz zurück. Schlagwörter
wie Herzlinie
oder Raumkurve
spielen eine entscheidende Rolle bei der Findung der idealen
Platzierung der Schiene im Raum.
|
. |
Auswahl der vom Ingenieurbüro Stengel
gerechneten Achterbahnen |
|
Goliath - Intamins Megacoaster im Six
Flags Holland |
|
|
|
Olympia Looping - Transportable
Loopingbahn mit fünf Inversionen |
|
|
|
Xcelerator - Rocket Coaster in Knott's
Berry Farm |
|
. |
|
|
Die Datenmenge ist dabei so umfangreich, dass sie nur noch von
selbst erstellter Software verwaltet werden kann. 57.000 Din-A4 Blätter
würden die angestellten Berechnungen für Typhoon
füllen. "Ohne Einsatz von Computern wären die
Achterbahnen von heute nicht denkbar," sagt Andreas Wild
vom Ingenieurbüro Stengel. "Speziell durch die
Entwicklung und Umsetzung unseres Raumkurven-Programmes wurde es
erst möglich, weichere und glattere Bahnen zu entwickeln und
den Herstellern äußerst präzise Fertigungsvorgaben
zu machen. Ohne den Einsatz modernster Werkzeuge wären die
Achterbahnen unter der Kürze der Entwicklungszeit heute nicht
mehr möglich."
Über 3000 Arbeitsstunden hat das Ingenieurbüro
Stengel alleine für Typhoon aufgebracht. Auch
hier unterstützen moderne 3D-CAD Systeme den Konstrukteur,
die Grenzen der biodynamischen Verträglichkeit der Fahrgäste
auszuloten. Anhand der CAD-Daten kann eine Simulation der
Achterbahn durchgeführt werden, und damit sind erste
Erkenntnisse in Sachen Kräfte und dynamischen Verhaltens weit
vor dem Bau des ersten Prototypen auslotbar. Die Achterbahn wird
schon in ihrer Entwicklungsphase virtuell zusammengebaut, um
funktionale Beziehungen zu überprüfen und Mechanismen
auszutesten.
|
Das Team des Ingenieurbüro Stengel vor
dem Intamin Megacoaster Goliath |
|
Die Fertigungsdaten (CAD-Dateien und Listen) in Form präziser
3D-Raumkoordinaten und Fertigungsanweisungen für Schiene, Stützen
und Sohle werden auf elektronischem Wege dem Hersteller übermittelt.
"Prinzipiell kann nach den Daten des Ingenieurbüro
Stengel direkt gefertigt werden. Meistens werden die Daten
jedoch noch an die örtlichen Gegebenheiten beim
Schienenfertiger angepasst", erläutert Siegfried
Gerstlauer den Prozess. Die Schienenfertigung geschieht je
nach Auslastung in unserem Hause oder wird an Dritte
weitergegeben. Nach vier Monaten war Typhoon bis ins
Detail auskonstruiert und der Stahl- wie auch Fahrzeugbau konnte
im Frühsommer 2003 beginnen. |
|
Wir danken der Gerstlauer Elektro GmbH und der Stengel GmbH
für die freundliche Unterstützung bei der Realisierung
dieses Artikels. Das Urheberrecht der Fotos liegt bei den
jeweiligen Autoren bzw. der Stengel GmbH, Gerstlauer Elektro GmbH
und Andreas Fechner. Eine Veröffentlichung, Vervielfältigung,
Verarbeitung und Verbreitung ist ohne schriftliche Genehmigung
nicht gestattet. |
|
|
|