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Nostalgie pur im Wiener Prater |
Ende des 19. Jahrhunderts erlebten Achterbahnen ihre
erste Blütephase. Schon damals war man auf der Suche nach immer neuen
Erlebnissen, und da die Technik noch in den Kinderschuhen steckte, mussten die
Bedürfnisse der Gäste auf andere Wege befriedigt werden. So kam der
Achterbahnbauer La Marcus Thompson auf die Idee, die Strecke durch eine
künstliche Landschaft zu führen und konstruierte eine solche Anlage
1887 an der Ostküste der USA in Atlantic City - die Scenic Railway
war geboren.
In den folgenden Jahrzehnten schossen derartige Anlagen wie
Pilze aus dem Boden, heute ist ihre Anzahl weltweit auf neun geschrumpft - und
aufgrund der hohen Betriebs- und Wartungskosten ist die Tendenz weiter fallend.
Die jüngste Scenic Railway ist seit 1950 unter dem Namen
Hochschaubahn im Wiener Prater zu finden.
Kennzeichnend für Scenic Railways ist neben der
Einbettung in eine künstliche Landschaft der Bremser, der in jedem
Zug mitfährt und das Gefährt sicher auf der Strecke hält.
Dies ist notwendig, da es sich bei derartigen Bahnen um Sidefriction
Coaster handelt, die keine Gegenräder unterhalb des Schienenbettes
besitzen. Der Bremser hat sich über die Jahrzehnte zum charakteristischen
Merkmal einer Scenic Railway entwickelt, sodass auch nicht thematisierte
Holzachterbahnen mit Bremser als Scenic Railways bezeichnet werden. De
facto weisen sechs der neun verbliebenen Scenics keine entsprechende Gestaltung
auf. Nicht so die Hochschaubahn in Wien: Sie repräsentiert die
aufwändige Thematisierung im ursprünglichen Sinne.
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Munter geht es duch die
Gebirgswelt... |
Der traditionsreiche Prater war vorher bereits Heimat
mehrerer klassischer Holzachterbahnen und einer Scenic Railways
gewesen. Die alte Hochschaubahn von La Marcus A. Thompson aus dem
Jahre 1909 war mit einer Wasserbahn kombiniert und stand neben dem
stählernen Riesenrad, einem der Wahrzeichen Wiens. 1944 fiel sie
jedoch einem Brand zum Opfer, der durch einen elektrischen Defekt
ausgelöst wurde. Ein Jahr später wurde der gesamte Prater nach einem
Bombenangriff zerstört.
1948 machte sich der Wirt am Platz der heutigen Hochschaubahn neben dem
Schweizerhaus, das damals noch sehr bescheiden war, daran, in seinem
Gastgarten eine neue Holzachterbahn zu bauen. Jedoch verkalkulierte er sich bei
den Kosten, weshalb eine Gruppe aus Finanziers die Weiterführung
übernahm. Unter der Regie der Familien Kremser, Moltre,
Schneeweiss, Gasselseder und Krista konnten die
benötigten 2,5 Millionen Schilling, nach heutigem Wert umgerechnet gut 8.000.000 Euro,
aufgebracht werden, um den Bau zu beenden. So wurde die Hochschaubahn im
Februar 1950 eröffnet. 1971 hat die Familie Kremser die
Hochschaubahn zu 100 Prozent erworben.
Die beiden Züge der Bahn bestehen aus jeweils
zwei Waggons und können neben dem Bremser je 14 Fahrgäste
aufnehmen. Hinter der Station, in der die Passagiere von einer illustren Schar
Gartenzwerge begrüßt werden, durchfährt der Zug zunächst
eine funkelnde Grotte, bevor er den zehn Meter hohen Kettenlift auf der
Rückseite der Anlage erreicht. Hier verrichtet übrigens der
Originalmotor seinen Dienst - und leistet ganze 14,5 kW, knapp 20
Pferdestärken.
Nach einer weiten Linkskurve folgt der erste Drop,
der mit knapp zehn Metern Höhenunterschied aufwartet. An dessen Ende
erreicht der Zug seine Maximalgeschwindigkeit von rund 40 Stundenkilometern -
Das sind sicherlich keine spektakulären Werte, doch die sind, nicht
zuletzt wegen des nicht vorhandenen Rückhaltesystems der Fahrgäste,
für den Fahrspaß auch gar nicht notwendig. Die folgende Strecke
führt durch ein künstliches Felsmassiv, vorbei an Dörfern und
Flüssen sowie durch einen Tunnel. Gerade an warmen Sommertagen bereiten
feuchte Überraschungen eine kleine Abkühlung. Ihr Ende findet die
Fahrt in einem weiteren Tunnel, bevor der Zug langsam zum Ausstiegsbereich
rollt. Wiederholungsfahrer können auf dem Weg zur Station, der die 450
Meter lange Strecke schließt, sitzen bleiben.
Die Familie Kremser beschäftigt fünf
Vollzeitkräfte und drei Saisonkräfte, die auch die Instandhaltung der
Hochschaubahn übernehmen. Mit ihrem Know How führen sie die
Renovierungsarbeiten durch, die jedes Jahr vier Monate in Anspruch nehmen. Bis
auf wenige technische Verbesserungen wurde der Originalzustand der Bahn
beibehalten. So wurde die Anlage nach dem Einsturz der Wiener
Reichsbrücke 1976 von den Behörden gesperrt, da man der Meinung
war, der Hochschaubahn könne das gleiche Schicksal widerfahren.
Innerhalb von nur zwei Wochen wurde ein kompletter zweiter Fahrbahnunterbau
angefertigt, so dass die Konstruktion nun ein Vielfaches der
ursprünglichen Festigkeit besitzt.
Auch wenn sie die jüngste Scenic Railway ist, so
versprüht die Hochschaubahn im Wiener Prater doch den Charme
des ausgehenden 19. Jahrhunderts, der ersten Goldenen Ära der
Achterbahnen. Neben der unterhaltsamen Fahrt macht sie ihre
aufwändige und liebevolle Gestaltung zu einem Vergnügen für die
ganze Familie, während sie für Achterbahnfans alleine wegen ihrer
historischen Bedeutung ein absolutes Muss darstellt.
Text und Bilder: Coastersandmore - jp |