|
Site-Info: Editorial > Ride Insights >
Holzachterbahn Balder im schwedischen Liseberg |
|
|
Fakten zu Balder |
Die Holztwister ist die zweite
komplett vorfabrizierte Holzachterbahn aus der Zusammenarbeit von Intamin und
dem Ingenieurbüro Stengel. Das enge und äußerst kompakte Layout
zeigt deutlich die Stärken der patentierten Holzschiene |
Gesamthöhe |
36
Meter |
Schienenlänge |
1070 Meter |
Max. Geschwindigkeit |
90 km/h |
Max. Längsneigung |
57° |
Max. Querneigung |
67° |
Fahrzeuge |
2 Züge mit 5 Wagen; 6 Plätze pro Wagen |
Kapazität |
1000 Personen pro Stunde |
Hersteller |
Intamin |
Betreiber |
Liseberg, Göteborg, Schweden |
Eröffnung |
12. April 2003 |
|
|
Link zur offiziellen Webseite von
Liseberg |
|
|
Lange ist es her, dass der schwedische Vorzeigepark
Liseberg im Herzen von Göteborg eine Holzachterbahn beherbergte. 1987 war
die letzte Saison der Berg och Dalbanan, einer der traditionellen Scenic
Railways, die sich dadurch auszeichnen, dass ein Bremser den Zug sicher
über den Parcours führt.
|
Links: Liseberg liegt zu Füßen
- Rechts: Airtime auf Balder |
65 Jahre lang hallte das Rattern der Züge durch den
Park, doch die immensen, immer weiter steigenden Unterhaltungskosten dieses
klassischen Holzkunstwerkes bedeuteten sein Ende. Unweit des alten Standortes
erlebt diese Ära seit dem Jahre 2003 eine Renaissance: Balder ist des
neuen Bauwerks Name. Balder, der Sohn von Odin, dem Gott der Götter, stand
Pate für eine Holzachterbahn der Moderne.
1923, anlässlich der Weltausstellung und gleichzeitig
der 300-Jahr-Feier Göteborgs, öffnete der städtische
Vergnügungspark Liseberg seine Tore. Hauptattraktion war damals die
eingangs beschriebene, knapp 1000 Meter lange Bergbanan. Doch nicht nur die
Fahrattraktionen sollten die Besucher magisch anziehen: Liseberg etablierte
sich auch als Veranstaltungsort für Konzerte oder bietet einfach ein
Fleckchen Grün zum Flanieren. Ein Preissystem mit niedrigem Eintrittsgeld
und Coupons für jede Attraktion macht dies möglich.
Heute kann Liseberg mit rund drei Millionen Besuchern
jährlich zu den bedeutendsten Vergnügungsdestinationen Europas
gezählt werden. Attraktionen wie die Lisebergbanan, ein Meisterwerk des
legendären deutschen Achterbahnbauers Anton Schwarzkopf, das perfekt in
Szene gesetzte Spökhotellet Gasten oder das Kallerado Rafting setzen noch
heute Maßstäbe. Der übersichtliche Park bietet rund 40
Attraktionen und im Jahre 2003, dem 80. Jubiläumsjahr, sollte wieder eine
Achterbahn für Furore sorgen.
Ein Hindernis stand Balder aber noch im Wege. Liseberg ist
förmlich eingerahmt von Autobahn, Gewerbeflächen und Wohngebieten.
Wie in vielen innerstädtischen Vergnügungsparks in Skandinavien
regiert auch hier der Platzmangel das Geschehen. Erst die Auslagerung der
parkeigenen Werkstätten schaffte die nötige Freifläche. Zwar
bietet diese gerade einmal 6450 Quadratmeter große Grundfläche auf
dem ersten Blick nicht viel Spielraum für das Schienenlayout, doch gerade
die beengten Platzverhältnisse sind es, die den Reiz dieses kompakten
Wooden Twisters ausmachen: Die Streckenführung bleibt im Holzlabyrinth
verborgen, Auf- und Abfahrten wechseln sich häufig mit kurvigen
Abschnitten ab und das Spiel der Beschleunigungswechsel vollzieht sich mit
extrem hoher Frequenz: Zehnmal bietet Balder Airtime, zehnmal das Gefühl
des Schwebens, zehnmal geht es hoch und runter - Und Balder kommt an keiner
Stelle aus der Puste. |
|
|
Links: Balder aus der Luft - rechts: First
Drop |
Balder ist nach Colossos im Heide-Park Soltau die zweite
vorproduzierte Holzachterbahn aus dem Hause Intamin. Nach dem schwedischen
"Kompaktcoaster" folgten die grösseren Layouts von El Toro im
amerikanischen Six Flags Great Adventure und T-Express im südkoreanischen
Samsung Everland. Letzterer bietet ein zweiteiliges Achterbahnerlebnis mit
einer fast exakten Balder Kopie im zweiten Teil.
Unter der Gesamtleitung des Schweizer Herstellers wurde im
Jahre 2000 in der norddeutschen Heide ein Achterbahnerlebnis geschaffen,
welches mit modernsten Konstruktions- und Fertigungsmethoden das Attribut "High
Tech" mit dem natürlichen Werkstoff Holz vereint. Eine von Werner Stengel
patentierte Schiene ist das Herzstück dieser neuen
Holzachterbahngeneration, die den Markt in Sachen Fahrgefühl
revolutionierte.
Auf Balder kann die computergefräste, vorproduzierte
Komplettschiene ihr Potential erstmals voll und ganz ausnutzen. Für das
gedrungene Layout des Twisters mit seinen engen Kurvenradien ist die Schiene
geradezu prädestiniert. Selbst die wildesten Richtungs- und
Beschleunigungswechsel vollzieht der Zug auf dem modernen Schienenbett mit
absoluter Gelassenheit. Eine Eigenschaft, die auf herkömmlichen, direkt am
Aufbauort von Zimmerleuten aus mehreren Holzlagen zusammengenagelten Schienen
nicht zu realisieren gewesen wäre.
Die geringen Platzverhältnisse im Liseberg führten
jedoch dazu, dass die Konstrukteure im Bereich des Tragwerks nur teilweise auf
die Erfahrungen aus Soltau zurückgreifen konnten. Vor allen bei den
Bauteilen gestaltete sich deren Standardisierung schwierig: Mehr als 50
verschiedene Fachwerkknoten und die engen Kurvenradien erforderten weitaus mehr
unterschiedliche Bauteile als bei der ersten Holzachterbahn im Heide-Park. Eine
Herausforderung vor allem an die Projektplaner von Intamin, schließlich
wurden alle Holzbauteile in Deutschland vorproduziert.
Balder präsentiert sich seinem Publikum auf voller
Breitseite und offenbart dabei nur einen geringen Teil seines herausragenden
Potentials: Neben dem First Drop sind nur wenige Streckenabschnitte einzusehen.
Visuell wird den am Boden gebliebenen Beobachtern nicht viel geboten. Das
Holzfachwerk steht im Mittelpunkt. Dies wird jedem spätestens dann
bewusst, wenn sich die Strecke im letzten Drittel ihren Weg durch den dichten
Holzbalkenwald sucht. Die Streckenabschnitte verlaufen dabei direkt
übereinander, stellenweise auf drei Ebenen verteilt, und vermitteln den
Mitfahrern einen Tunneleffekt, der an Dramatik nicht zu überbieten ist.
Wenn die Holzbalken an der "Decke" wieder einmal zu nahe kommen, wird schnell
der Kopf eingezogen oder die Arme, die gerade noch mutig in die Luft gestreckt
wurden, reflexartig zum Körper gezogen.
Balders Wartebereich ist zweckmäßig gestaltet:
Die Besucher werden von einer hölzernen Begrenzung über eine
Betonplatte geleitet, auf der die Holzachterbahn ruht. Die Station befindet
sich auf der Rückseite der Anlage. Zwei Züge in den Farben blau und
rot kommen zum Einsatz. Sie sind baugleich mit denen des Out & Back
Coasters Colossos. Bequeme Sitzschalten und ein Bauchbügel sowie ein
separater Gurt sorgen für einen sicheren Halt auf dem nun folgenden
Airtimeritt. |
|
|
|
|
Airtime auf allen
Sitzen |
|
|
|
Ein Kettenzug befördert den fünfgliedrigen Zug
zügig den extrem steilen Lifthügel hinauf. Ein Höhenrekordler
ist Balder mit 36 Metern nicht. Generell stehen Superlative bei diesem
erstklassig arrangierten Bahnlayout mit seinen wilden Beschleunigungswechseln
eher im Hintergrund. Einen hausgemachten "Rekord" darf Lisebergs neuer Woodie
dann doch für sich beanspruchen: Mit einer Neigung von 70 Grad soll die
erste Abfahrt, der sogenannte First Drop, den europaweit steilsten Fall einer
Holzachterbahn bieten. Um diesen Wert zu erreichen wurden scheinbar kurzerhand
die Kurven Quer- und Längsneigung der gekrümmten Schiene in diesem
Streckenabschnitt miteinander aufaddiert. Steil und furchteinflössend ist
der Beginn des Holzabenteuers aber allemal!
Dem Lifthügel schließt sich ein 180° Bogen
an, der fließend in die erste Abfahrt übergeht. Am Streckenrand
warnt noch ein Schild mit einer großen "70" vor dem nun kommenden Fall.
Der Zug beschleunigt und zieht vor allem die Mitfahrer der hinteren Reihen aus
der abfallenden Steilkurve in den 57° steilen First Drop hinein.
Während der obere Teil des Drops kurvig ausgestaltet ist, findet sich der
Zug schnell auf der geradlinig in die Tiefe führenden Abfahrt wieder. Der
60-sekündige Holzritt (Kettenausgang bis Bremse) vollzieht in diesem
Augenblick seinen ersten Höhepunkt. Balder liegt den Mitfahrern zu
Füßen, doch selbst aus dieser Perspektive ist das Bahnlayout nur
schwer nachzuvollziehen. Erst aus der Vogelperspektive offenbart sich ein
verwobenes aber dennoch simples Figur-8 Layout.
Balder dreht auf: Mit 90 Stundenkilometern geht es durch das
Tal, der Zug streift die Betonplatte, schießt anschließend
über den nachfolgenden Camelback - Airtime für alle -, taucht dann
kurz einige Meter hinab und steigt in die erste Steilkurve auf. Querneigungen
von fast 70° sind dabei keine Seltenheit. |
|
Impressionen von
Balder |
|
|
|
|
|
Aufmerksame Beobachter erblicken inmitten der Achterbahn,
direkt auf der kargen Betonplatte, einen kleinen eingezäunten Garten, dem
sich ein Häuschen anschließt. Bewohnt ist das rote "Baldersvra"
jedoch nicht, auch wenn eine wehende Fahne, Sitzecke, Schubkarre und Dreirad
darauf hinweisen könnten. Vielmehr ist das Holzhäuschen eine Hommage
an die Scenic Railway im dänischen Vergnügungspark Bakken. Dort gibt
es ebenfalls eine Unterkunft inmitten der Holzstruktur, die selbst heute noch
während der Saison vom Ride Manager bewohnt wird.
|
Mitten in der Bahn liegt das
"Baldersvra" |
Den meisten Mitfahrern entgeht dieser eigenwillige Bau,
steht doch die Anspannung in ihren Gesichtern geschreiben, wenn der Zug aus der
ersten Steilkurve in die Tiefe gleitet und Anlauf für ein gewaltiges
Hindernis nimmt. Dieser Hügel weist einen derart ausgeprägten
parabolischen Verlauf auf, dass es jeden Mitfahrer auf seinem oberen Todpunkt
wahrlich in die Lüfte reisst. Der Fahrgast wird förmlich aus dem Sitz
katapultiert und nur die Rückhaltevorrichtungen verhindern, dass sich an
dieser Stelle die Wege von Zug und Passagieren nicht trennen.
Wieder folgt eine Steilkurve, diesmal führt der stark
geneigten Richtungswechsel den Zug unterhalb des First Drops hindurch. Zwei
kleinere Camelbacks in luftiger Höhe folgen. Die Ausfahrt des ersten gibt
dabei einen Vorgeschmack auf den nun folgenden zweiten Part des
Coastererlebnisses: Die Abfahrt durchschneidet förmlich die vor ihr
liegende "Holzwand". Urplötzlich sieht man sich mit diversen Holzbalken
konfrontiert, unter denen der Zug mitsamt seiner Insassen in letzter Sekunde
hindurchtaucht - Ein intensiver Kick mit bleibender Erinnerung. Dank des strikt
eingehaltenen Lichtraumprofils muss aber niemand befürchten, mit den
Fingerspitzen der ausgestreckten Arme an die Balken zu stoßen.
Noch einmal geht es leicht aufwärts, dann versinkt der
Streckenverlauf gänzlich im Holzgebälk. Der Zug brettert durch die
dichte Trägerstruktur, wobei das Geschwindigkeitserlebnis durch die
vorbeifliegenden Holzbalken nochmals intensiviert wird. Einmal erblickt der Zug
kurz das Tageslicht und überfliegt einen weiteren Camelback, extreme
"Ejected Airtime" inklusive. Dann steht wieder der Tunnelblick im
Vordergrund.
|
Einblick in die dichte Holzstruktur der
Bahn |
Langeweile kommt auf dem Trackumlauf nie auf, und selbst zum
Ende der Fahrt scheint Balder nicht die Puste auszugehen: Obwohl die Achterbahn
nur wenige Abfahrten besitzt, die den maximal möglichen
Höhenunterschied ausnutzen, wird durch die dichte Abfolge der Fahrelemente
ein regelrechtes Feuerwerk an Beschleunigungsänderungen abgespult. Balder
ist ein Paradebeispiel dafür, dass es keiner Höhenrekorde bedarf, um
das Coasterfeeling an die Spitze zu treiben.
Eine Runde dreht Balder noch in der Holzstruktur und
verfolgt dabei den Verlauf der darüber liegenden Strecke in allen Nuancen.
Plötzlich geht es wieder an das Tageslicht, hinein in die letzten beiden
Speedbumps, die auch für das Parkpublikum einsehbar sind. Hier wird noch
das Onride Foto aufgenommen, und schon landet der Zug in den Magnetbremsen. Ein
letzter, etwas behäbig durchfahrener Turn, dann kommt das Gefährt im
zweiten Bremsabschnitt komplett zum stehen.
Gemächlich schieben die Reibräder den Zug in die
Station, das Abenteuer Balder ist beendet. Aufatmen, Luft holen, denn dieser
Airtimeritt lässt den Mitfahrern keine Sekunde zur Ruhe kommen. Balder,
der Gott des Gewitters, ist bei dieser Holzkreation Programm - Balder ist
eingeschlagen wie eine Bombe und reiht sich spielend in die Spitzengruppe der
europäischen Woodies ein. Die Göteborger haben ihre Holzachterbahn
wieder - wenn auch eine der modernsten ihrer Art. |
|
Bilder / Text: Coastersandmore - ng, jp |
|
|