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Links: Wiener Prater im
Überblick |
Wien ist weltbekannt für seine Staatsoper, den
Stephansdom und das Schloss Schönbrunn. An den Ausläufern der Alpen
gelegen bietet die historische Stadt 1,6 Millionen Menschen ein Zuhause und
natürlich darf an einem solchen Ort ein Freizeitareal nicht
fehlen.
Der Prater, lateinisch für Wiese, war bis zum
Jahre 1766 kaiserliches Jagdgebiet. Kaiser Joseph II. gab das rund 600
Hektar große Gebiet schließlich der Allgemeinheit frei. Heute
beherbergt das ehemalige Auenland zwischen Donau und Donaukanal neben
Sportstätten und einem großen Naherholungsgebiet auch die wohl
bekannteste stationäre Kirmes Europas. Weltberühmt ist das 1898
eröffnete Riesenrad: 61 Meter beträgt der Durchmesser des imposanten
Rades, welches ein fester Bestandteil der Wiener Skyline ist. Errichtet wurde
es vom Engländer Walter Basset zum 50-jährigen
Regierungsjubiläum von Kaiser Franz Joseph. Ähnliche
Räder wurden auch in Paris und London erbaut, sind aber schon lange in
Vergessenheit geraten.
Schon kurz nachdem das Gelände der Öffentlichkeit
freigegeben wurde, entwickelte sich der heutige Volks- oder
Wurstelprater. Im Westen der Hauptallee siedelten sich Weinwirte,
Kaffeesieder und Schausteller an. Letztere zeigten Wurstel (Kasperletheater)
und boten Watschenmänner (Kraftmessgeräte) an. 1909 folgte dann die
erste Hochschaubahn im klassischen Stil einer Scenic Railway.
Nachdem das Holzkonstrukt 1944 einem Brand zum Opfer fiel und ein Jahr
später der gesamte Prater durch einen Bombenangriff stark
zerstört wurde, erhielt das Vergnügungsareal 1950 eine etwas kleiner
dimensionierte Anlage gleichen Stils. Diese ist heute die älteste
Achterbahn in Österreich. |
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Megablitz auf der Parzelle 145 |
Auch die Familie Steindl hatte vor drei Generationen
mit einem Kasperletheater im Prater angefangen. Ihre erste
Achterbahn war die Düsenspirale von Schwarzkopf,
welche von 1964 bis 1968 auf der Parzelle 145 gastierte. Anton
Schwarzkopf pflegte mit Walter Steindl eine sehr gute
Geschäftsbeziehung. Als er wieder einmal in den Prater kam und
feststellen musste, dass mit der Düsenspirale eines seiner
frühen ungeliebten Erstlingswerke immer noch in Betrieb war, drängte
er auf einen Austausch der Bahn.
Nach langer Planungsphase entstand der erste Jet Star
der Welt. Insgesamt baute die Firma Schwarzkopf zwölf dieser
Schienenbahnen erster Serie und entwickelte das Erfolgskonzept weiter, so dass
die Jet Star-Serien 2 und 3 ebenfalls sehr erfolgreich vermarktet werden
konnten. Im Prater drehten die Einzelfahrzeuge 24 Jahre lang ihre
Runden, bevor die Anlage nach Spanien verkauft wurde. Heute steht sie in einem
Freizeitpark.
Nachfolger dieser für damalige Verhältnisse
äußerst spektakulären Achterbahn konnte aber kein weiteres
Schwarzkopfprodukt mehr werden, musste die Achterbahnschmiede aus
Münsterhausen zwischenzeitlich Konkurs anmelden. Daher war die Familie
Steindl gezwungen, sich nach einem neuen Hersteller umzuschauen, der
genauso innovativ und zuverlässig wie die Schwaben ist.
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Grundriss des Megablitz |
Fündig wurde Walter Steindl im
niederländischen Vlodrop. "Vekoma war die Firma, welche die Ideen meines
Vaters am Besten umsetzen konnte", erzählt Christian Steindl.
"Viele Layoutentwürfe haben wir hin und her geschickt, von einer Art
Wilden Maus bis zum heutigen Ergebnis", erinnert sich der Betreiber und meint
weiter: "An dieser Anlage ist alles durchdacht, jede Schiene und jede Schraube
hat ihren Sinn. In der Bahn ist kein einziges gerades Schienenstück
verbaut, außer im Bahnhof. Alles ist so, wie mein Vater, der Techniker
der Familie, es haben wollte. Unser Megablitz ist keine Anlage von der Stange,
und darauf sind wir mächtig stolz."
Christian Steindl steht auf den Stufen des
Lifthills und blickt auf den unter ihm liegenden Prater: "Hier
ist es wichtig, eine Attraktion zu präsentieren, die auf der einen Seite
familienfreundlich ist, auf der anderen Seite aber auch so interessant ist,
dass man bei jedem Besuch gerne wieder einsteigen will. Dies ist uns mit dem
Megablitz zum Glück gelungen." |
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Links: Auf dem Lifthill - rechts:
Schienengewirre |
Auf der rund 30 mal 50 Meter großen Parzelle mit der
Nummer 145 entstand zum Jahr 1994 ein knapp 550 Meter langer Rundkurs, der es
in sich hat. Die Stärken des Jet Stars mit seinen
haarsträubenden Steilkurven und Richtungswechseln flossen in das neue
Layout ein und wurden mit extremen Helices kombiniert. 19 Meter bringt
der Kettenlift die kurzen, dreigliedrigen Züge nach oben. Dann
folgen 40 Sekunden Power, Speed und extreme Beschleunigungswechsel. Auf der bis
zu 61° steilen ersten Abfahrt erreicht der Wagenverbund rund 70
Stundenkilometer, um die Wagemutigen Sekunden später mit extremen 4,8 G in
einer Helix in die Sitze zu drücken.
Das kompakte Layout des Vekoma MK-700 Systems
erinnert an die früheren Tage einer "Achter"bahn. Helices gefolgt von
Fahrten auf die andere Seite der Schleife prägen das Bild. Geradlinige
Abfahrten findet man nur im steilen First Drop. Monoton oder gar
langweilig ist der Megablitz jedoch beim besten Willen nicht. Mal
abwärts, mal aufwärts durchrasen die kurzen Züge die Rundungen
mit ihren extremen Beschleunigungen. Wo man Augenblicke später sein wird,
weiß keiner der Insassen während der gesamten Fahrt. Vier Züge
können eingesetzt werden, jedoch befindet sich einer meistens in der
hauseigenen Wartung und Instandsetzung. Somit ist eine Blockbremse auf
der Strecke ausreichend.
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Nahansicht Chaise |
Drei weitere MK-700 custom-designte Anlagen
befinden sich weltweit noch in Betrieb, die aber allesamt ein völlig
anderes Layout aufweisen. Dazu kommt noch die Indoorachterbahn
Revolution im belgischen Bobbejaanland. Dort werden jedoch nicht
die kurzen und äußerst flexiblen Wagenverbünde auf die Reise
geschickt, sondern der längste Achterbahnzug der Welt. Die bobartige
Sitzposition ist jedoch identisch. Sechs Personen fasst ein Zug in Wien,
jeweils zwei Passagiere sitzen dicht an dicht hintereinander wie auf einem
Schlitten. Ein Sicherungsbügel, der in Höhe und Länge
variabel ist, muss von den Mitfahrern an sich herangezogen werden bevor dieser
arretiert.
Der Megablitz war von Anfang an eine ausgewogene
Achterbahn. Nur ein Detail gefiel nicht: Als Walter Steindl seine Wagen
im Werk bei Vekoma stehen sah, wurde ganz schnell klar, dass den
Zügen irgendetwas fehlte. Im Dunklen wirkten sie sehr unscheinbar - nicht
gut für das Geschäft auf einer Dauerkirmes. So wurden den Wagen auf
Wunsch des Österreichers Front- und Heckscheinwerfer spendiert, die
über Akkus betrieben werden. "Mit der Leistung der Akkus bin ich sehr
zufrieden und die Wagen wirken in den Abendstunden um einiges besser",
resümiert Christian Steindl, als er die Ladevorrichtung zeigt.
"Im Laufe der Jahre haben wir die Bahn perfekt abstimmen und
auf unsere örtlichen Gegebenheiten optimal einstellen können",
erwidert der Wiener auf die Nachfrage, wie man es geschafft hat, eine so
laufruhige, harmonische und trotzdem äußerst spritzige Fahrt bieten
zu können. "Schläge gab es aber von Anfang an nicht. Wäre einer
drin gewesen hätte Vekoma die Schienen direkt wieder mitnehmen
können", fügt der Perfektionist noch hinzu.
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Drop nach der Blockbremse |
Es wurde sogar eine Radkonfiguration gefunden, welche die
Temperaturschwankungen und damit die Geschwindigkeitsunterschiede perfekt
auszugleichen weis. Und auch das optische Erscheinungsbild wird ständig in
Schuss gehalten: Im letzten Jahr haben die Stützen der Anlage einen neuen,
jetzt grünen Anstrich erhalten. "Nur zwei, drei Querverstrebungen sind
noch in der Originalfarbe - da kommt man einfach sehr schlecht hin", gibt es
als Erklärung
Mit dem Megablitz besitzt der Wiener Prater
eine besondere Achterbahn, die es geschafft hat, die schmale Gratwanderung
zwischen "familienfreundlich" und "spektakulär" optimal zu lösen. Die
abwechslungsreichste Anlage im Prater erfreut jung und alt - perfekt
für eine Dauerkirmes. Neuheiten mögen dem Schausteller Steindl
vielleicht kurzzeitig den Rang ablaufen, doch Qualität setzt sich sehr
schnell durch. Die steht auf der Parzelle 145 und hört auf den Namen
Megablitz.
Text: Coastersandmore - ng, Bilder: Vekoma, Coastersandmore |