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Am Nürburgring sollte sich neue
Launch Coaster seit der Saison 2009 präsentieren |
2000 war die deutsche Achterbahnwelt noch im
Rückstand. Den weltweiten Trend zu Loopingbahnen, Katapult- oder
gigantischen Hypercoastern schien man verschlafen zu haben. Dann die
Trendwende: Gleich drei Achterbahnen über 50 Meter eröffneten
innerhalb von zwei Jahren und 2007 feierte der erste Launch Coaster seine
Premiere. Und diese Trendwelle wollte fortgesetzt werden. 2009 sollte ein neuer
Flitzer am Nürburgring folgen.
Direkt entlang der Formel 1 Start- und Zielgeraden sollten
die Rennzüge innerhalb von 2,5 Sekunden von null auf 217 Stundenkilometer
beschleunigt werden. Der Katapultkick hätte mit einer durchschnittlichen
Beschleunigung von beeindruckenden 2,5g aufgewartet.
Die Idee der Achterbahn am Nürburgring ist mehr
"Dragster" als "Coaster": Launch, Bremse, Rückfahrt. Der Rundparcours
bietet einen feurigen Katapultstart, der sich auf der rund 1220 Meter langen
Strecke nicht so richtig fortsetzen lassen will. Der zweigliedrige Zug mit acht
Sitzplätzen wäre plangemäss noch vor der ersten und einzigen
aufwärts führenden Steilkurvenkombination deutlich auf etwa 125
Stundenkilometer heruntergebremst worden, um im Hintergrund der
Haupttribüne eine 500 Meter lange, geradlinige Rückfahrt ohne
große Erlebnisreize zu absolvieren.
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Studie des ring°racer Zuges für
den Nürburgring - die finale Ausführung wird im Design abweichen, die
Aufteilung der Wagen ist jedoch repräsentativ |
Wo Top Thrill Dragster oder Kingda Ka mit einem deutlich
über 100 Meter hohen Top Hat beeindrucken können, folgt in der Eifel
einfach eine überdimensionierte Reduzierbremse in direkter Nachbarschaft
zum Launch. Trotzdem: Das lang gezogene Oval wollte einen neue Rekordmarke
setzen - mit elf Stundenkilometern hätte es den damaligen Rekordhalter
Kingda Ka getoppt. Doch einen Rekord hat der ring°racer bislang nicht
erreicht.
Das Beeindruckendste am ambitionierten Projekt am
Nürburgring war die Wahl des Herstellers. S&S Power aus den USA sollte
die Bahn mit ihrer Luftdrucktechnik durchstarten lassen. Die Beschleunigung mit
Druckluft ermöglicht das Erreichen des Top Speeds innerhalb eines sehr
kurzen Zeitintervalls und verbraucht wenig Energie. In der Spitze wären
knapp 4g Beschleunigung zu erwarten gewesen.
Die Realität sah jedoch anders aus: Erreichte der
ring°racer am Formel 1 Wochenende im Juli 2009 noch moderate 130km/h,
sollte danach die eigentliche Weltrekordmarke erobert werden. Eine Woche
später wurde die Abschusstechnik bei Testläufen auf Top-Speed Niveau
unter einem ohrenbetäubenden Knall regelrecht zerlegt. Intensive
Untersuchungen, Reparaturen und wochenlanges Warten auf Ersatzteile folgten.
Dabei riss die "Pannenserie" nicht ab: Erst wenige Tage nachdem die
Hochgeschwindigkeitstests im September 2009 wieder aufgenommen wurden,
ereignete sich der nächste Crash des Katapultsystems. Die erfolgreiche
Inbetriebnahme ist in weite Ferne gerückt und der Park ohne
Hauptattraktion ein Millionengrab. |
Statt auf bewährte Technik zu setzen, pumpten die
Entscheider vom Nürburgring die Subventionen in die schnelle
Luftdrufttechnik des amerikanischen Herstellers S&S. Wie schon bei deren
hauseigenen Space Shot und Turbo Drop Türmen kommt für den
Katapultstart kompressible Druckluft zur Anwendung, die durch eine
Druckbeaufschlagung größer dem üblichen Umgebungsdruck
schlagartig durch einen länglichen Druckzylinder strömt. Ein durch
den Zylinder geführtes Stahlseil wird um zwei Umlenkrollen geführt
und ein Mitnehmer katapultiert den Wagen über die gerade Abschussstrecke.
Dazu wird der entlang der Beschleunigungsstrecke positionierte Zylinder durch
einen beweglichen Schieber in zwei Kammern unterteilt. Strömt in die eine
Kammer die unter Druck stehende Luft, so wird der Schieber und das daran
befestigte Seil längs des Zylinders bewegt. Die Luft entspannt sich und
drückt dabei mit Leichtigkeit den Zug voran.
Auf der zweiten Auslieferung Dodonpa im japanischen Fuji-Q
Highland wurde 2001 sogar ein Geschwindigkeitsrekord aufgestellt: 172
Stundenkilometer erreichen die Züge innerhalb von 1,8 Sekunden. Trotz der
notwendigen, extrem hohen Beschleunigung (im Mittel 2,7g) arbeit das System
nahezu verschleißfrei und benötigt keine exorbitanten
Stromressourcen. Der Luftdruck wird zwischen den Launchzyklen von relativ
schwachen Elektropumpen aufgebaut und innerhalb des knapp zwei Sekunden
andauernden Starts nahezu schlagartig verbraucht. Extreme Leistungsspitzen wie
bei linearen Magnetantrieben treten nicht auf.
Die Technik erscheint imposant, die zwiespältige
Ausführung der beiden S&S Hochgeschwindigkeits-Auslieferungen vor dem
ring°racer verhinderte jedoch eine Erfolgsgeschichte wie bei den
luftdruckbetriebenen Türmen. So sind die Fahrgastträger von
permanenten Problemen geplagt, die Lebensdauer der ultra teuren
luftgefüllten Flugzeugräder im Vergleich zu herkömmlichen
Achterbahnrollen verschwindend gering und die ruppigen Fahreigenschaften nicht
unbedingt verkaufsförderlich. Die Züge wurden nach der ersten Saison
komplett modifiziert, doch der Prototyp im amerikanischen Kings Dominion lief
nie richtig rund. Nach sieben Betriebsjahren verschwand dieser Ende 2007 von
der Bildfläche, 2010 wurde die eingelagerte Stahlstruktur verschrottet.
Für den Nürburgring wurden scheinbar aber die
Hausaufgaben gemacht: Die Bahn fährt auf bewährten Rundrohren statt
auf schwer biegbaren I-Trägern, und auch die Gummipneus sind Schnee von
Gestern. Zudem schien der Entschluss zugunsten des Herstellers - glaubt man den
Ring-Entscheidern - wohl überlegt gewesen zu sein: "S&S Power ist auf
dem Gebiet der Druckluft betriebenen Coaster weltweit eines der führenden
Unternehmen und verfügt über sehr viel Erfahrung", erklärte Dr.
Walter Kafitz, Hauptgeschäftsführer der Nürburgring GmbH, bei
der Pressepräsentation der Anlage. "Die Herstellung der einzelnen
Komponenten unterliegt dabei dem deutschen TÜV-Standard, der Deutschen
Industrie Norm sowie der Europäischen Norm und wird fast
ausschließlich von Betrieben in Deutschland und Europa übernommen."
So wurde die Schiene und Struktur von einem italienischen Lieferanten
produziert, die Züge kommen aus den USA.
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Antriebsschema Air Launch des S&S
Thrust Air 2000 |
Statt auf einen europäischen Spitzen-Hersteller zu
setzen, floss das Geld - rund zehn Millionen Euro - in die USA. Das Ergebnis
ist unlängst bekannt: Kein funktionierender Launch, keine Achterbahn.
Statt dessen wurde der Antriebszylinder währen der Testfahrt lokal
zerfetzt. Sechs Arbeiter erlitten ein Knalltrauma, einige stellten
Strafanzeige. Ein Gutachen des TÜV-Rheinland kam zum Schluss, dass ein
Softwarefehler den Knall-Unfall ausgelöst hat. Die Software erkannte eine
bestimmte Funktion nicht genau. Deshalb wurde der Start nicht automatisch
abgebrochen, wie das notwendig gewesen wäre.
Anderthalb Jahre nach dem Vorfall kommt wieder Bewegung in
das fast schon vergessene Projekt: Im Juni 2011 soll der ring°racer dem
Publikum übergeben werden. Dies teilte eine Sprecherin der
Nürburgring Automotive GmbH Ende März 2011 mit. Statt mit 217 km/h
soll das Launch System 160 Stundenkilometer in der "ersten" Saison anpeilen.
Immerhin noch Europarekord, so die Aussage des Bereichsleiter
Ringwerk, Andreas Stickel. Die Testfahrten des ring°racer haben nach
Aussage der Verantwortlichen Anfang März begonnen. Die endgültige
Abnahme durch den TÜV Süd steht noch aus.
Somit findet das Kapitel ring°racer scheinbar doch noch
ein Ende. Laut Stickel habe man sich von der verantwortlichen
US-Steuerungs-Firma getrennt und arbeitet jetzt mit der süddeutschen Firma
Actemium zusammen. "Wir haben jetzt eine komplett neue Steuerung und eine von A
bis Z neue Programmierung., so Andreas Stickel. Actenium bietet laut
eigener Darstellung individuelle Lösungen sowohl für
Automatisierungs- als auch Antriebstechnik für Achterbahnen, Launch
Coaster, Wildwasserbahnen sowie diverse andere Fahrgeschäfte an. Als
Referenz stellt das Unternehmen insbesondere Überarbeitungen von
Achterbahnen wie Goudurix aus dem Parc Astérix oder Vekomas
Minenachterbahn im Walibi Belgium in den Vordergrund.
Die Reduzierung des Antriebs auf 160 km/h
Spitzengeschwindigkeit ist dabei ein notwendiges Übel. Hatten die
Testfahrten doch gezeigt, dass das System bei 130km/h einigermassen
zuverlässig lief. Die geringere Endgeschwindigkeit wird das Antriebssystem
entlasten, insbesondere, da das Luftdruckniveau gesenkt werden kann.
Energetisch betrachtet benötigt der Antrieb bei 160 statt 217km/h nur noch
die halbe Leistung. Auf der anderen Seite deuten Aussagen der Beteiligten
darauf hin, dass die ursprüngliche Geschwindigkeit von 217km/h genauere
medizinischer Untersuchungen bedarf: Wir bewegen uns in den Grenzen des
Möglichen, aber am oberen Rand. Deshalb geht die Sicherheit der
Fahrgäste vor, so Andreas Stickel. Für die angekündigte
Höchstgeschwindigkeit von 217 km/h sind noch Tests durchzuführen. Vor
allem wie Menschen den enormen Schub des Katapultstarts vertragen, müsse
noch durch medizinische Tests untersucht werden. So ist davon auszugehen, dass
der zweigliedrige Zug statt mit 2.5g nur mit rund 1.3g durchschnittlicher
Beschleunigung 2011 auf die Strecke geschickt wird. Ohne den initialen
Launchkick wie bei Dodonpa wird das Rennkatapult jedoch nur halb so viel Spass
machen.
Text: Coastersandmore Bild:
Nürburgring, Coastersandmore
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