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The Voyage - Holzachterbahn in der Holiday World |
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Richtungswechsel im finalen
Streckenabschnitt |
Was ist das für ein Gefühl, eine der wildesten
Holzachterbahnen auf diesen Planeten zu fahren? Die Antwort ist einfach und
stand schon nach der zweiten Fahrt des Tages fest: "I believe my insides have
been rearranged." Das waren genau die Worte, welche die liebevolle Paula Werne,
Pressesprecherin der Holiday World, vom Autor dieses Artikels vernehmen durfte.
30 Sekunden zuvor hatte der Zug die Schlussbremse passiert.
The Voyage, die neueste Achterbahnkreation im Herzen
des Bundesstaates Indiana, fordert von den 28 Zuginsassen alles: Fast zwei
Kilometer lang, 50 Meter hoch, bis zu 110 km/h schnell und nicht weniger als
24,2 Sekunden Airtime stellen jeden Mitfahrer auf eine harte Probe.
The Voyage ist die zweite Kreation der im Jahre 2002
gegründeten Achterbahn-Company Gravity Works. Trotz der noch jungen
Firmengeschichte blickt das amerikanische Ingenieursteam aus Ohio auf eine
langjährige Erfahrung bei Custom Coaster International zurück,
welche nach einer turbulenten Phase kurz nach dem Millennium geschlossen wurde.
Bei einem Besuch in der Kneipe war für die vier
Coasterveteranen Mike Graham, Korey Kiepert, Larry Bill
und Chad Miller klar, dass sie der Branche treu bleiben wollten. Sie
gründeten das Unternehmen Gravity Works, das 2005 mit Hades
im Mt. Olympus Water & Theme Park debütierte, und schon ein
Jahr später sollte The Voyage der Öffentlichkeit vorgestellt
werden. |
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Airtime und G-Force Abschnitte im
Überblick - Grafik: Holiday World |
Für den von der Familie Koch seit 1946
geführten Freizeit-, Wasser- und Erlebnispark im Herzen der USA gibt es
schließlich nur eine wahre Achterbahngattung: "Wir sind überzeugt,
dass wir mit Holzachterbahnen ein weitaus breiteres Familienpublikum ansprechen
können als mit jeder Stahlachterbahn," sagt Will Koch auf die
Frage, warum in der Holiday World die drei großen
Achterbahnen allesamt auf Holzschienen laufen. Aber es gibt noch einen
weiteren Grund: "Holzachterbahnen haben einen traditionellen Look und haben ein
gewisses etwas - sie rütteln, sie vibrieren! Auf unseren Bahnen bekommt
der Gast noch mit, dass er in einer Achterbahn sitzt." Das kann der Autor
dieser Zeilen blind unterschreiben.
Im Zeitalter der modernen
Intamin-Holzachterbahnen mit dreidimensional gefräster
"Steck"-Schiene und klaren, ruckelfreien Fahreigenschaften stehen im Koch-Park
drei ausgewachsene Woodies, die es in sich haben. The Voyage ist nach
Raven und Legend - beide von CCI - die größte
Anschaffung in der Geschichte der Holiday World. Im neuen Themenbereich
Thanksgiving steht seit Mai 2006 neben einem interaktiven Darkride von
Sally nun die mit 1964 Metern drittlängste Holzachterbahn
der Welt, welche alle "Sinne" anspricht und fordert - wir erinnern uns an das
Statement nach der zweiten Fahrt des Tages.
"Für Will Koch fiel die Wahl auf die Gravity Group
nicht schwer", sagt Paula Werne. "Die vier sympathischen Jungs hatten
2005 unseren Woodie Raven mit einem Wartungsgleis und einer Weiche für
einen Zweizugbetrieb ausgestattet und uns regelrecht mit ihren aberwitzigen
Ideen bombardiert." Mit einem großzügigen Zeitpuffer von 24 Monaten
ging es an die Planung - ein derartiger Luxus ist in der heutigen
schnelllebigen Vergnügungsindustrie fast schon unmöglich, doch mit
The Voyage wollte Holiday World Präsident Will Koch den
perfekten Holzcoaster kreieren. "Bei unseren beiden Vorgängerprojekten hat
Will immer noch Potential entdeckt, die Bahnen besser zu machen", sagt Paula
Werne, "doch jetzt hat er gesagt, dass ihm keine einzige Änderung mehr
vorschweben würde - The Voyage ist schließlich die perfekte
Holzachterbahn".
Auch für Ingenieur Chad Miller war die
fruchtbare Zusammenarbeit die beste Ausgangslage, jeden Zentimeter des
Holz(schienen)lindwurms regelrecht zu zelebrieren. Selbst nach der
Veröffentlichung der Pläne im Sommer 2005 wurde die Bahn an
verschiedenen Stellen noch verändert. Andere Figuren haben es dann aber
doch nicht in das aberwitzige Layout von The Voyage geschafft: "Die erst
noch angedachte Loopingfigur - ein Korkenzieher - wurde zwar nicht realisiert,
doch Voyage hat unser aller Erwartungen übertroffen", sagt Paula
Werne. |
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Statt auf einer Holzstruktur erhebt sich der neue
Hybrid-Gigant in Indiana auf einem feuerverzinkten, filigranen
Stahlprofilkonstrukt. Ein derartiges Stützdesign ist weitaus
kostengünstiger als jede Holzkonstruktion und erlaubt größere
Freiheiten im Layout, da die stählernen Stützen eine geringere
Fläche links und rechts der kurvigen Strecken für die Ableitung der
dynamischen Kräfte ins Erdreich benötigen. Während die tragende
Struktur auf Baustahl setzt, ist die Schiene klassisch aus Holz laminiert und
liegt wohl gebettet auf den in regelmäßigen Abständen an der
Stahlstruktur angebrachten Holzledgern. Alleine 1062 dieser massiven Holzbalken
bilden die Schnittstelle zwischen Stahl und Schiene, wobei The Voyage
auf exakt 907 (Stahl)Böcken aufliegt - Im Schnitt alle 2,15 Meter
einer.
"Will Koch verbrachte Stunden um Stunden mit den vier
kreativen Köpfen der Gravity Group, um das ultimative Design für
unsere neue Achterbahn zu kreieren", sagt Paula Werne. "Eins war von
Anfang an klar - im Vergleich zu Legend und Raven sollte unser dritter Woodie
ein Out&Back Layout erhalten." Somit starten die Züge im Park und
rattern rund 600 Meter in eine Waldschneise hinein, deren Topographie erst
ansteigt und zum Wendepunkt abrupt in ein Tal abfällt. Diese Grundlage
macht sich das Layout zunutze, indem die Schienen stellenweise nur minimal
über dem Boden liegen und dem welligen Gelände folgen.
Bietet das erste Drittel gigantische Hügel, folgt im
mittleren Teil eine kurvenreiche Kehrtwende - der Turnaround - hinein in die
gerade einmal zwei Meter über dem Boden liegende Blockbremse,
welche den Betrieb eines dritten Zuges auf der Strecke erlaubt. Selbst wenn das
Fahrzeug hier zum Stehen kommen sollte, böte das ab hier bis zur Station
fast 30 Höhenmeter abfallende Gelände derart viel "Vorschubenergie",
dass es auf den nachfolgenden 800 Schienenmetern für mehrere
Tunneldurchfahrten und wilde Slalomparcours bis hinein in die
Stationsbremse ausreichen würde.
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Rechts: Abtauchen in den Tunnel vor dem
"großen" Richtungswechsel |
Für gerade einmal 6,5 Millionen US-Dollar wurde auf der
Grundlage der Stahlunterkonstruktion und Stützenminimalisierung eine
Achterbahnkreation geschaffen, wie sie anderswo nie realisiert worden
wäre. Die Züge der Philadelphia Toboggan Company, kurz
PTC, leisten wahrlich Schwerstarbeit, wenn sie sich in die wilden
Kurvenkombinationen stürzen, seitlich senkrecht gestellt werden oder im
überraschenden "triple-down" nach der Blockbremse dreimal im Dunkeln in
die Tiefe stürzen.
Der Zug ächzt vor der anstrengenden Last, die Menschen
kreischen - ein surreales, irgendwie unwirkliches Bild. Das Gebotene ist fast
schon zu viel des Guten - für die Jugendlichen kann es nicht wild genug
sein, für die ältere Generation ist der Zenit des Erträglichen
jedoch irgendwie überschritten - The Voyage bietet "shake, rattle
& roll" bis zum Exzess.
Die Mitfahrer stürzen sich in ein Abenteuer der
Ungewissheit - wie damals die Pilgerväter auf ihrer haarsträubenden
Überfahrt nach Amerika: Vom Park aus ist nur der Lifthügel
nebst erstem Camelback bzw. der Schlussparcours um den neuen
Themenbereich einzusehen - die restlichen gut 1000 Streckenmeter liegen
versteckt in einer extra geschlagenen Waldschneise, führen unter dem
Waldboden durch einen der sieben, insgesamt 325 Meter langen Tunnelbereiche
oder rauschen durch den Keller des großen Stationsgebäudes. Doch
beginnen wir am Anfang... |
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Der kultige Turnaround im vollen
Breitbildlook von links nach rechts: 90° Querneigung bietende Steilkurve,
airtimereicher Double Down, 180° Steilkurve mit 90° Querneigung und
Hump in den Tunnel |
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Airtimereicher Double Down verpackt in
einem S-Kurven-Schlingerparcours |
Fakten zu The Voyage |
Turbulente Powermaschine mit
klassischem Woodie Feeling - 2006 von der Wood Coaster Internet Poll zur besten
Holzachterbahn der Welt gewählt |
Höhe
Lifthügel |
50
Meter |
Höchste
Abfahrt |
47
Meter |
Maximale
Höhendifferenz |
55
Meter |
Streckenlänge |
1964
Meter |
Max. Geschwindigkeit |
109 km/h |
Max. Querneigung |
90° |
Max. Längsneigung |
66° |
Netto-Fahrzeit |
160 Sekunden |
Fahrzeuge |
3 Züge mit 7 Wagen; 4 Plätze pro Wagen |
Kapazität |
1200 Personen pro Stunde |
Hersteller |
Gravity Group LLC, Cincinnati, Ohio, USA |
Betreiber |
Holiday World, Santa Claus, Indiana, USA |
Eröffnung |
6. Mai 2006 |
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Link zur offiziellen Webseite der Holiday
World |
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Schon beim Betreten des Themenbereichs Thanksgiving
unterquert der Gast die gewaltige Stahlstruktur des Coasterhybriden. Einer von
drei Zügen steht immer bereit, und der zügige Kettenlift
schleppt den siebengliedrigen Fahruntersatz hinein in das kunterbunte
Fahnenmeer an der Liftkuppe - rund 50 Meter über dem Erdboden. Ein Wagen
nach dem anderen verschwindet aus dem Sichtfeld der Hinterbänkler, die
Geschwindigkeit zieht an und mit einem gewaltigen, katapultartigen Satz
befindet sich auch der letzte Wagen auf der 66° steilen Abfahrt, welche
sich in Sachen Steilheitssuperlativ aktuell nur vor ElToro im Six Flags Great
Adventure zu verstecken braucht.
Die ersten Sekunden der Airtime-Orgie werden
abgespult, die Menge fliegt, stürzt in die Tiefe und steuert geradlinig
auf zwei parabelförmige, 30 Meter hohe Airtimehügel zu. Mal
über den Bäumen, dann wieder haarscharf am Erdreich
vorbeischlitternd, folgt der Zug nach dem zweiten Tal einer leicht nach links
abdriftenden Auffahrt dem dritten Hochpunkt entgegen. Die dann folgende Abfahrt
wird vom Dunkel des ersten Tunnels umhüllt. Das Rattern des Zuges hallt
ohrenbetäubend zurück. Zwei weitere, kleinere Camelbacks
folgen, immer wieder unterbrochen von kurzen Momenten gleißenden
Tageslichts auf den Hügelkuppen - die Wannendurchfahrten spielen sich
stets im Dunkeln ab.
Verwirrt vom Spiel der vertikalen Kräfte und dem
Abfolgen von Licht und Dunkelheit folgt der Turnaround des
weitläufigen Layouts. Doch statt einer wie auf anderen Layouts
üblichen 180°-Kurve oder vielleicht einer Kurvenschleife wartet hier
ein feuriges Spiel der Lateralbeschleunigungen in einer Talsenke auf die
Mitfahrer. |
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Links: Die erste Kurve mit 90°
Querneigung - Rechts: Letzte Kurve vor der Blockbremse |
Eine scheinbar nicht enden wollende Kombination von Kurven
und Abfahrten bilden einen Achterbahnpart, der schon für sich alleine eine
anspruchsvolle Attraktionen hergeben würde: Ein Double Down
verpackt in einem S-Kurven-Schlingerparcours führt den Zug einem
Doppelhopser gleich in eine weite Linkskurve, welche am tiefsten Punkt des
gesamten Layouts liegt, exakt 55 unter der Lifthügelkuppe. Es folgt
eine leichte Auffahrt mit einem kleinen Hopser hinein in eine nach links
führende 90°-Steilkurve, der direkt im Anschluss ein weiterer, 90°
quergeneigter Richtungswechsel - diesmal mit Rechtsdrang - folgt. Die Mitfahrer
werden in Sekundenbruchteilen von rechts nach links geworfen und unterqueren
dabei die Hügelkuppe des Double Down, dort wo die Kehrtwende ihren Anfang
nahm.
Die zweite 90°-Steilkurve führt den Zug
schließlich in einen Tunnel parallel zur vorangegangenen Dunkelpassage -
der Rückweg hat begonnen: Wieder wird ein Tunnel passiert, dann eine
kleine Auffahrt auf ein geradliniges Plateau - die Blockbremse liegt in
zwei Metern Höhe über dem Erdboden. 800 Meter Strecke und 30
Höhenmeter liegen noch zwischen uns und der Schlussbremse, an sich
schon Daten für eine veritable Achterbahnfahrt.
Was wird wohl noch folgen? Was kann eine Achterbahn nach
hohen Hügeln, dann Tunneln und wilden Richtungswechseln im
Turnaround noch bieten? Üblicherweise folgen im Schlussdrittel von
Out&Back-Layouts Camelbacks und Helices, doch es ist
schon zu erahnen, dass es bei The Voyage kein Standardangebot gibt.
Die Gravity Group und Will Koch präsentieren den
angespannten Mitfahrern auf den letzten 800 Metern Figurenkombinationen, welche
sich sprichwörtlich dem aberwitzigen Spiel der lateralen und vertikalen
Kräfte hingeben. |
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In der Blockbremse, welche die Geschwindigkeit des
Zuges nicht reduziert, gibt es kaum Zeit zum Durchatmen, denn was folgt, ist
weltweit einmalig und für keinen Mitfahrer bei der Fahrpremiere erahnbar.
Im nun folgenden Tunnel stellt sich den Fahrgästen ein gewaltiger
Triple Down in den Weg: Die Wagen holpern in völliger Dunkelheit
dreimal hintereinander stufenweise abwärts, die Mitfahrer werden
förmlich im Dreiertakt aus den Sitzen gerissen - eine gelungene
Überraschung, doch The Voyage dreht noch weiter auf.
Nach diesem unangekündigtem Highlight geht es im Stile
eines Bobparcours mehr oder weniger parallel zu den Camelbacks und
Hügeln des Hinwegs in einer Slalomstrecke zurück nach
"Thanksgiving". Dabei ist der Parcours gespickt mit allerlei
unberechenbaren Hindernissen. Links, rechts, die Schiene ist überall und
die Wagen legen sich auf den abwärtsführenden Kurven waghalsig in die
Schräge, es folgt sogar eine dritte Stelle mit 90° Querneigung.
Der Kettenlift wird durch einen heftigen Umschwung
überkurvt, dann taucht der Zug in den Keller der Station, schießt
vorbei an einer Plexiglaswand, hinter der die wartenden Besucher erschrocken
dem Schauspiel beiwohnen, wieder eine Rechtskurve hinauf. Eine abfallende
Linkskurve führt die Mitfahrer in den letzten Tunnel, der unter dem
Hauptweg von Thanksgiving liegt, und den Zug in eine aufsteigende
Rechtskurve entlässt, an welche sich die Schlussbremse
anschließt. |
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Rechts: Abfahrt in das Kellergeschoss des
Stationsgebäudes |
Zweieinhalb Minuten hat diese Tour de Force angedauert,
für die einen eine Tortour der Beschleunigungen, für die anderen
unberechenbarer Fahrspaß pur. Mensch und Maschine leisten Schwerstarbeit,
die bei dem einen oder anderen Mitfahrern regelrecht zur Sprachlosigkeit
führt. Wir erinnern uns: "Die Holzachterbahnen in der Holiday World
richten sich an ein breites Familienpublikum" - doch diese Reise ist wirklich
nicht jedermanns Sache.
The Voyage ist ohne Zweifel eine der intensivsten,
wenn nicht sogar die intensivste Holzachterbahn weltweit. Kräfte in
alle möglichen und unmöglichen Richtungen reihen sich in derartiger
Taktfolge aneinander, dass kaum Zeit zum Atmen bleibt. Das Layout ist ohne
Frage brilliant, und dennoch polarisiert The Voyage die Coasterfans wie
kaum eine zweite Achterbahn. Für die einen, darunter auch den Autor dieser
Zeilen, ist die Bahn schlicht zu heftig, um wahre Freude aufkommen zu lassen.
Die überwiegende Mehrheit jedoch hat eine unangefochtene neue Nummer 1.
Bleibt nur zu hoffen, dass das Material nicht
überstrapaziert wird: Am Ende der Saison 2006 wurden schon einmal 350
Meter Schiene ausgewechselt. Klassische Holzachterbahnen gelten schon immer als
Wartungshorror, klassische Woodies mit Extrembeanspruchung werden
hoffentlich nicht einen vorzeitigen Heldentod sterben.
Text und Bilder: Coastersandmore - jp |
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