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Ein Artikel von Jochen Peschel |
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Gleich steht er vor uns, Intamins zweiter Hydraulic
Launch Coaster in Europa. Vom Haupteingang aus sieht man nur die Spitze des
Top Hat, und auf dem Weg durch den Park wächst die Spannung mit jedem
Schritt. Wir passieren eine Brücke und bleiben vor dem lilafarbenen
Schienengewirr stehen. Da verursacht die Power des Hydraulikantriebes ein
kleines Erdbeben. Lisebergs Kanonen hat wieder einen Zug abgefeuert.
Wie die meisten skandinavischen Innenstadtparks leidet auch
Liseberg an chronischer Platznot, und so trennte man sich, nicht zuletzt
wegen der hohen Unterhaltskosten, 1987 von der Scenic Railway. Die
Einwohner Göteborgs beschwerten sich lautstark über den Verlust der
klassischen Holzachterbahn, bei der in jedem Zug ein eigener Bremser
mitfuhr, und so wurde 2003 mit Balder ein moderner Ersatz geschaffen,
der in der Gunst der Achterbahnfans ganz weit oben steht.
Doch brachte diese neue Anlage auch einige
Veränderungen in der Parkgestaltung mit sich, und so musste der kompakte
Invertigo HangOver, ein Boomerang mit hängenden Zügen
von Vekoma, für eine Ausgleichszone weichen. Danach verfügte
Liseberg jedoch über keine Loopingbahn mehr, wodurch die
Weichen für die nächste Attraktion bereits gestellt waren.
So holten die Parkverantwortlichen Vorschläge von
bekannten Achterbahnherstellern wie Gerstlauer, Intamin,
S&S, Mack, Maurer Söhne oder der italienischen
Zamperla ein, um die Besucher wieder auf den Kopf stellen zu
können. "Aufgrund der guten Erfahrungen mit Balder und des beeindruckenden
Katapultstarts fiel unsere Wahl wieder auf die Firma Intamin", berichtet
Lars-Erik Hedin, der Technische Direktor von Liseberg.
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Links: Jenny Gustafsson,
Pressesprecherin, und Lars-Erik Hedin, Technikdirektor des Liseberg, sind stolz
auf die durchzugsstarke Neuheit |
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Die Liechtensteiner konnten somit beweisen, dass ihre
durchzugsstarken Hydraulik-Coaster nicht nur für immer neue Höhen-
und Geschwindigkeitsrekorde gut sind, sondern sich auch für kompakte
Layouts auf begrenzter Grundfläche eignen. Bereits der erste Hydraulic
Launch Coaster in Europa, Rita - Queen of Speed im englischen Alton
Towers, der drei Wochen vor Kanonen eröffnet wurde,
verfügt über eine niedrige und kurvenreiche Schienenführung. Die
Auslieferung in Schweden besticht neben dem klassischen, gerade einmal 24 Meter
hohen Top Hat und zwei Inversionsfiguren vor allem durch enge Kurvenpassagen,
Airtime-Hügel und extreme Richtungswechsel.
"Aufgrund des weichen Untergrunds, der bereits beim
HangOver zu Problemen geführt hatte, wurde eine etwa 50x25 Meter
große Betonplatte gegossen, die auf 170 bis zu 25 Meter tiefen Pfeilern
ruht. So können die dynamischen Lasten besser verteilt werden. Dadurch
wird verhindert, dass einzelne Fundamente bei jeder Fahrt zu tief einsinken,
was die Struktur der Bahn jedes Mal belasten würde", erzählt
Lars-Erik Hedin. Daher war es auch möglich, die gesamte Anlage in
die erste Etage zu verlegen und zu unterbauen, um Platz für die
Antriebstechnik, Werkstätten und Lagerräume zu schaffen. Letztere
nahmen vorher das Gelände ein - Platznot macht erfinderisch. |
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Von Null auf 75km/h unter zwei
Sekunden |
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Wir stehen nun mit Lars-Erik Hedin im "Keller",
genauer gesagt im Maschinenraum von Kanonen. Verschiedene rot lackierte
Behälter und Aggregate sind mit einer unendlich erscheinenden Vielzahl von
armdicken Schlauchleitungen verbunden. Links vor uns befindet sich ein
großer rechteckiger Tank, der 4000 Liter Hydrauliköl fasst.
Über eine Pumpe führt eine Leitung zu einer
weiteren Behältereinheit in Form eines Stapels waagerecht gelagerter Zylinder, die untereinander verbunden sind. Sie
beherbergen den Stickstoff, ein kompressibles Gas, welches die für den
Start erforderliche Energie zwischenspeichert.
Durch einen verschiebbaren Kolben im obersten Zylinder wird
das zusammengeschaltete Volumen der Zylinder in zwei Bereiche unterteilt. Der
eine enthält den Stickstoff, in den anderen wird zwischen den
Startvorgängen das Hydrauliköl gepumpt. Da das Öl kaum
kompressibel ist, verschiebt es den Kolben und komprimiert gleichzeitig den
Stickstoff auf der anderen Seite. So baut sich dort ein Druck von bis zu 300
bar auf. Dies entspricht dem dreihundertfachen Luftdruck in der Atmosphäre
- eine ungeheure Energie. Zum Start wird die Leitung zur Pumpe unterbrochen und
die Ventile zu den Motoren geöffnet. Somit wird das Öl
aufgrund des Drucks des Stickstoffs durch die acht Hydraulikmotoren gepresst.
Zwei Sekunden später befindet es sich schon wieder vollständig im
drucklosen Tank.
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Einblick in den Maschinenraum der
Intamin Rocket Coaster am Beispiel von Kanonen |
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Die Motoren sitzen kreisförmig um ein großes
Zahnrad, das mit einer Winde verbunden ist. Durch eine Öffnung in der Decke
sind sie nur schwer auszumachen. Auf der Winde, die einen Durchmesser von rund
einem Meter hat, werden die beiden Enden der Stahlseile, welche das sogenannte
Catch Car antreiben, auf- und abgewickelt. Dieser längliche
Schlitten verfährt kurz unterhalb der Beschleunigerschiene. In das Catch
Car greift ein Mitnehmer am Zug ein, so dass die Antriebskraft auf den Zug
übertragen werden kann. Am Ende der gerade einmal etwa 20 Meter langen
Beschleunigungsstrecke wird das Catch Car durch Wirbelstrombremsen in
der Schiene abgebremst, der Zug löst sich automatisch und rast mit
Höchstgeschwindigkeit dem Achterbahnvergnügen entgegen.
Die Hydraulikpumpe fördert nicht nur das Öl in den
Druckbehälter, sondern im Anschluss an den Beschleunigungsvorgang auch
kleine Mengen direkt durch die Motoren. Diese drehen dabei mit sehr geringer
Geschwindigkeit entgegen der Hauptantriebsrichtung und bringen so das Catch Car
langsam zurück in die Startposition. Eine Minute später kann der
Zyklus von vorne beginnen.
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Streckenlänge |
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440 Meter |
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Höhe |
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25 Meter |
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Max.
Höhendifferenz |
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20 Meter |
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Katapultstart |
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Von 0 auf 75km/h unter 2
Sekunden |
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Max.
Querneigung |
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80° |
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Inversionen |
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2: Vertikallooping,
In-Line-Twist |
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Reine
Fahrzeit |
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40 Sekunden |
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Züge |
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2, je 16 Plätze |
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Kapazität |
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930 Personen pro Stunde |
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Hersteller |
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Intamin, Liechtenstein |
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Betreiber |
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Liseberg, Göteborg,
Schweden |
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Eröffnung |
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14. April
2005 |
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Für den eigentlichen Startvorgang werden nur wenige
Liter Hydrauliköl benötigt. Im Kreislauf, respektive im Tank, ist
jedoch die vielfache Menge enthalten, da sich das bewegte Öl durch Reibung
auf bis zu 40 Grad Celsius aufheizt. Im Tank kann es seine Wärmemenge
größtenteils an das "unbenutzte" Öl abgeben, durch eine aktive
Kühlung wird die Öltemperatur zusätzlich gesenkt.
Erstaunlich ist auch die geringe Leistungsaufnahme des
Antriebssystems - die gewaltige Power das Katapultstartes lässt anderes
vermuten. Einzig und allein die fast kontinuierlich laufende Hydraulikpumpe
belastet das Stromnetz. Sie benötigt gerade einmal nur rund 150 Kilowatt
(150.000 Watt) - weniger als die meisten Elektromotoren für einen
größeren Kettenlift -, doch reicht dies aus, um den Druck im
Stickstoff innerhalb der einen Minute zwischen den Starts auf 300 bar zu
erhöhen. Die so gespeicherte Energie wird in den zwei Sekunden des
Katapultstarts umgesetzt - die Hydraulikmotoren leisten dabei etwa 3 Megawatt
(3 Millionen Watt), genug um den etwa acht Tonnen schweren Zug aus dem
Stillstand heraus auf 75km/h zu beschleunigen.
Lars-Erik Hedin verrät uns noch einen weiteren
Clou: Der Stickstoff in den aufeinandergestapelten Gasflaschen ist auf 250 bar
"vorgespannt". Somit wird auch der letzte Tropfen Hydrauliköl noch stark
genug aus dem Druckspeicher gepresst, das Beschleunigungsvermögen des
Zuges bleibt fast annähernd konstant. Mit über einem g, also
mehr als dem eigenen Körpergewicht, werden die Fahrgäste beim Start
kontinuierlich in den Sitz gepresst. |
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Nach der Top-Hat Überfahrt folgt
ein wirkungsvoller Airtime Hügel mit integriertem Linksknick |
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Hydraulik hin, Wirbelstrombremsen her, was
letztendlich zählt ist das Fahrerlebnis. Das beginnt bei Kanonen
mit einem rund vier Meter hohen Aufstieg zum Wartebereich auf der Betonplatte,
der geschickt unter den Schienen verläuft. Von hier ist die gesamte
Strecke einsehbar, was die Wartezeit beinahe wie im Flug vergehen lässt.
Der Abstand der Stahlschiene zu den Wartenden ist teilweise äußerst
gering, und besonders eine schnell durchfahrene, sehr enge bodennahe Kurve mit
80 Grad Querneigung wirkt (nicht nur) aus kurzer Entfernung beobachtet extrem
spektakulär. Nur ein feinmaschiger Drahtzaun trennt die Warteschlange vom
vorbeifliegenden Zug.
Die Gestaltung des Wartebereiches ist jedoch sehr
minimalistisch ausgefallen: Die weißen Stützen sind ohne weitere
Dekoration auf die Betonplatte geschraubt, und insgesamt wird an dieser Stelle
ein noch etwas unfertiger Eindruck erweckt. Endlich ist die Station erreicht,
nur noch wenige Fahrten trennen uns von dem Erlebnis als lebende Kanonenkugel.
Ungefähr jede Minute wird einer der beiden 16-sitzigen Züge aus der
Station auf die Strecke in Richtung Top Hat geschossen.
Wie schon bei der benachbarten Holzachterbahn
Balder gibt es einen roten und einen blauen Zug, die sich bei
Kanonen jedoch nur in der Farbe einiger Kunststoffapplikationen
unterscheiden. Die relativ neu entwickelten Schulterbügel, die
durch ein zusätzliches Schloss redundant ausgeführt sind, halten die
Passagiere sicher in ihren Sitzen. Dann gibt das Stationspersonal die
Startfreigabe. Die etwa 68 Notbremsschwerter auf dem Launchtrack senken sich
ab, ein leichter Ruck geht durch den Zug, dann erfolgt der Abschuss aus der
relativ dunklen Station in das gleißende Tageslicht.
In weniger als zwei Sekunden hat der Zug auf einer
Beschleunigungsstrecke von nur 20 Metern seine Maximalgeschwindigkeit erreicht.
Da die Beschleunigung aufgrund der Vorspannung des Stickstoffs auch am Ende des
Launchtrack noch fast bei einem g liegt, wird der Augenblick, in dem der Zug
mit 75km/h automatisch aus dem Schlitten ausklinkt und die Beschleunigung
schlagartig endet, subjektiv als ruckhafte Abbremsung empfunden. Davon
unbeeindruckt führt die leicht ansteigende Strecke den viergliedrigen Zug
zunächst geradeaus über einen Wasserlauf und dann senkrecht nach oben
auf den 24 Meter hohen Top Hat. Zum Erstaunen vieler Mitfahrer wird
dieser beinahe quälend langsam überfahren - Der Höhenunterschied
von 20 Metern lässt den Zug auf rund zehn Stundenkilometern
verzögern, bevor der senkrechte Absturz auf die Wasseroberfläche zu
erfolgt, der visuell jedoch nur in der ersten Reihe seinen vollen Effekt
entfaltet.
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Aus der Luft wirkt Kanonen
nahezu minimalistisch, die Fahrt überrascht die Mitfahrer mit
wirkungsvollen Beschleunigungswechseln |
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Nach einem kleinen aber wirkungsvollen
Airtimehügel mit gleichzeitigem, äußerst
überraschend daherkommendem leichten Linksknick schließt sich die
erste Inversion in Form eines 20 Meter hohen Vertikalloopings an.
Aufgrund der geringen Geschwindigkeit des Zuges im Totpunkt hängen die
Mitfahrer hier deutlich spürbar in den Bügeln. Dafür wird der
darauffolgende Umschwung recht schnell durchfahren. Die Fahrzeuge
schießen dabei aus einer Rechtskurve einen etwa acht Meter hohen
Hügel hinauf und drehen gleichzeitig in eine Linkskurve. Auf einer Distanz
von wenigen Streckenmetern vollziehen die Wagen somit einen Querneigungswechsel
von 160°. So beeindruckend intensiv das Fahrgefühl an dieser Stelle
auch ist, so deutlich wird auch, dass die neuen Intamin Bügel noch
nicht vollends ausgereift sind. Ein massiver Beckenbügel hält die
Fahrgäste im Sitz, zwei schmale Bögen über den Schulterbereich
fixieren den Oberkörper. Je nach Körpergröße können
die seitlichen starren Bögen des Bügels bei starken Querkräften
spürbare Schläge an den Hals verursachen. Zumindest eine Polsterung
oder eine elastische Ausführung wäre hier wünschenswert.
Mit hoher Geschwindigkeit schießt der Zug in eine um
80° Grad quergeneigte Kehrtwende. Fast senkrecht gestellt rauschen die
Mitfahrer durch die enge Kurve, mit beinahe dem vierfachen ihres
Körpergewichtes werden sie in ihre Sitze gedrückt. Es folgt ein
kleiner, etwa acht Meter hoher Hügel und eine weitgezogene Rechtskurve,
die den Zug direkt in den abschließenden In-Line-Twist führt.
Die Mitfahrer werden dabei um 360° um die Längsachse gedreht, wobei
die Fahrfigur als besonderer Clou durch den Vertikallooping führt. Auch
diese Inversionsfigur wird wieder sehr langsam durchfahren, was den unter
diesem Element Wartenden einen ausgiebigen Blick auf die kopfstehenden
Passagiere ermöglicht. |
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In den Magnetbremsen wird der Zug dann sanft abgebremst.
Ohne den sonst bei Achterbahnen üblichen Lifthügel dauert das
eigentliche Fahrerlebnis keine 30 Sekunden. Entsprechend schnell ist der Zug
wieder in der Station, was dem Personal keine 50 Sekunden Zeit für den
Passagierwechsel lässt. Mitfahrer mit Gepäck, welches erst beim
eigentlichen Einsteigevorgang von den Gästen selbst in Fächer auf der
Seite der Ausstiegsplatform deponiert wird, sorgen oftmals für
Verzögerungen. |
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Kanonen bietet wahrlich ein
undurchsichtiges Schienenknäuel |
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Kanonen hat deutliche Stärken und
Schwächen. Zuerst sei an dieser Stelle die Hangtime in den beiden
Inversionen genannt, die vielleicht nicht den Geschmack jedes Mitfahrers
trifft. Diese hängt direkt mit dem langsamen Überfahren des Top
Hat zusammen, was bei hohen Bahnen wie Top Thrill Dragster oder
Kingda Ka den Thrillfaktor deutlich erhöhen mag - die um über
100 Meter (!) niedrigeren Ausführungen wie bei Kanonen lassen eher
höhere Geschwindigkeiten mit der daraus resultierenden Airtime bei
der Überfahrt wünschen. Eine höhere Abschussgeschwindigkeit,
auch wenn diese eventuell zusätzliche Reduzierbremsen im Bereich
der ersten Inversionsfigur nötig machen würde, um die ohnehin schon
extremen Beschleunigungswechsel in der zweiten Hälfte des
Kanonenabenteuers fahrbar zu halten, wäre sicherlich einen Versuch
wert.
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Soviel zur Kritik, kommen wir nun zu den positiven
Eindrücken. Zuerst einmal bietet Kanonen einen beeindruckenden
Start, der dadurch noch intensiviert wird, dass er - im Gegensatz zum
Booster Bike im Toverland oder den elektromagnetisch gepowerten
Vekoma-LSM-Coastern - direkt aus der Station heraus erfolgt. Das
kompakte Layout bietet den Mitfahrern keine Atempause: Mit einer Mischung aus
schnellen, stark geneigten Kurven und Airtime-Hügeln ist die
Strecke äußerst abwechslungsreich und enthält genau die
Beschleunigungen, die eine Achterbahnfahrt ausmachen. Kanonen ist nicht
perfekt, schließt aber souverän eine der wenigen Lücken im
Rideangebot des sympathischen Liseberg - und wird nicht zuletzt sehr
positiv vom Publikum angenommen. |
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Bilder: Alton Towers (1), Coastersandmore, Liseberg
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