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Air - Flying Coaster in Alton Towers

Air fliegt über die Köpfe der Besucher hinweg

Es soll sie hier geben, die Secret Weapon, die neue, ultimative "Geheimwaffe" mit der Nummer 5. Wir befinden uns in England, 50 Kilometer nördlich von Birmingham in den englischen Midlands - eine Einöde. Gut eine halbe Stunde haben wir uns von der Autobahnabfahrt über die Landstraßen gequält, um den "ultimativen" Prototypen zu Gesicht zu bekommen. Im Forbidden Valley, dem "Verbotenen Tal", werden wir dann fündig. Der dichte Wald lichtet sich und vor uns erhebt sich majestätisch das durchgestylte, türkis schimmernde Stahlmonster.

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Air trägt es als Namen, und keine zehn Sekunden später wissen wir auch warum: Die Luft beginnt zu zittern, immer lauter wird das Geräusch und schlagartig passiert ein siebengliedriges Gefährt unseren Standort. Wir blicken auf und sehen gerade noch, wie der letzte Wagen in eine Senke abtaucht. Vier Personen sahen uns euphorisch an, die Arme gen Boden ausgestreckt "flogen" sie einem Vogel gleich durch die Lüfte, nur gehalten von einem eigenartigen Sicherungssystem, welches sie mit dem Fahrgastträger verband. Kann das möglich sein?!

Die Antwort ist schnell gegeben, ein klares ja. Wir befinden uns schließlich im 21. Jahrhundert, einem Zeitalter, in dem immer ungewöhnlichere Achterbahnen realisiert werden. Unser Standort ist auch keine geheime Militärbasis, sondern Englands Themenpark Nummer 1. Alton Towers beeindruckt seine Gäste alle Jahre wieder mit phantastischen Attraktionen, die meist auf ungewöhnliche Art und Weise in die ausgedehnte Parklandschaft eingegliedert werden.

Alton Towers kompakt

Fakten zum Air

Europas einzigartiger Flying Coaster bietet drei Überschläge

Streckenlänge

840 Meter

Höhenunterschied

20 Meter

Max. Geschwindigkeit

75 km/h

Inversionen

3: Flip, Flip, Inline Twist

Max. Vertikalbeschleunigung

3,5g

Netto-Fahrzeit

50 Sekunden

Fahrzeuge

3 Züge mit 7 Wagen; 4 Plätze pro Wagen

Kapazität

1500 Personen pro Stunde

Hersteller

Bolliger & Mabillard, Monthey, Schweiz

Betreiber

Alton Towers, Staffordshire, England

Premiere

16. März 2002

• Link zur offiziellen Webseite von Alton Towers

Einblick in die Ladestation

Nachdem die Tussauds Gruppe den Freizeitpark 1990 übernahm, wurden die 200 Hektar des früheren Landsitzes des Earl Charles Talbot kontinuierlich zum vielleicht ungewöhnlichsten Themenpark Europas umgebaut. Zweieinhalb Millionen Besucher strömen jährlich über die unzähligen Landstraßen der englischen Midlands, um den reizvoll angelegten Park rund um die Ruine des gotisch angehauchten Herrenhauses - die Towers - zu besuchen. Alton Towers präsentiert sich als riesige Gartenanlage mit sorgsam platzierten Orten der "Zerstreuung". Auf dem weitläufigen Gelände gibt es viel zu entdecken, besonders die außergewöhnlichen Schienenattraktionen - Verpassen sollte man diesen Themenpark mit der vielleicht längsten Historie auf keinen Fall.

Der besondere Reiz der Achterbahnen ist auf eine Bestimmung der kommunalen Behörden zurückzuführen: Keine Attraktion in Alton Towers darf den natürlichen Baumbewuchs überragen. 20 Meter sind die Höchstgrenze, und somit mussten die verantwortlichen Designer, allen voran der britische Themenpark Consultant John Wardley, geschickt planen, um die drei großen Achterbahnen, eine sogar fast 60 Meter Höhenunterschied aufweisend, in die "unberührte" Parklandschaft zu integrieren.

Die erste realisierte Geheimwaffe, die Secret Weapon 3, Europas erster Inverted Coaster aus der Schweizer Achterbahnschmiede Bolliger & Mabillard, wurde kurzerhand eingegraben. Trotz ihrer 26 Meter Höhendifferenz überragt Nemesis keine einzige Baumkrone. Für die Secret Weapon 4, die B&M Dive Machine Oblivion, wurde sogar ein fast 40 Meter unter dem Erdboden verlaufender Tunnel augeschachtet und auch für den Flying Coaster Air mussten Hunderte Kubikmeter Erde bewegt werden. Zwölf Millionen Pfund, rund 19 Millionen Euro, soll dieser Prototyp verschlungen haben. Dabei fiel die Wahl wieder auf die Consulting Ingenieure im schweizerischen Monthey nahe Genf.

Prepare for Air...

Links: Tal nach der ersten Abfahrt - rechts: Ausfahrt des Flip Elements

Als in den Granada Studios in Manchester mit Skytrak Ende 1997 der erste Flying Coaster der Welt eröffnet wurde, war nur eine kleine Schar von Achterbahnbegeisterten über diesen neuartigen Achterbahntypen informiert. Wenig später schloss der kleine englische Filmpark und mit ihm auch der Roller Coaster, der das Flugprinzip auf recht einfache Art und Weise mittels einzelner Flugchaisen umsetzte: Fliegen wie ein Vogel, in liegender Position unterhalb der Schiene, den Kopf voran, die Arme gen Boden ausgestreckt.

Drei Jahre später wurde die Idee vom niederländischen Achterbahnhersteller Vekoma perfektioniert, ihr erster sogenannter Lay Down Coaster konnte im amerikanischen Paramount's Great America seinen Betrieb aufnehmen. Die Fahrposition ist vergleichbar mit der Weltpremiere in England, Vekomas Anlage erreicht aber weitaus beeindruckendere Dimensionen. Zwei Jahre später sollte auch Bolliger & Mabillard den ersten Flying Coaster ausliefern. Wie schon bei Oblivion ist Air eine Prototypenpremiere, doch eine zweite Anlage dieser Art wurde schon wenige Wochen später in den USA, genauer im Six Flags Over Georgia, eröffnet.

Beide Anlagen basieren zwar auf einem neu entwickelten Fahrsystem, können aber unterschiedlicher nicht sein: Während die Auslieferung für Six Flags auf einem fast ebenen Gelände Platz findet und ein neues Inversionselement, den Pretzel Knot, beinhaltet, erscheint der Prototyp für Alton Towers weitaus familienorientierter ausgelegt worden zu sein. Dafür bietet Air eine komplett an das Gelände angepasste Streckenführung. Zwar werden gerade einmal "nur" cirka 20 Meter Höhenunterschied geboten, drei Inversionen inklusive, doch die Fahrposition und die gelungene Eingliederung an die Topographie machen den Ride zu einem unverwechselbaren Erlebnis.

Ihren Standort findet Air im Parkbereich Forbidden Valley, direkt neben dem erstklassigen B&M Inverter Nemesis gelegen. Bietet dieser noch ein eigenwilliges, halb verrottetes Szenario um ein mysteriöses Wesen, welches der Storyline nach bei den Erdarbeiten zur Achterbahn entdeckt wurde und nun langsam von der Bahn Besitz ergreift, kommt Air überaus stylisch und mit einem auf Hochglanz polierten Äußeren daher.

Rechts: Mit guter G-Belastung geht es auf dem Rücken liegend die Steilkurve hinauf

Eine Hintergrundstory wird zwar nicht geboten, doch das abschüssige Gelände wurde konsequent durchgestylt. Moderne Architektur, wenige aber stimmige Dekoelemente und eine gut umgesetzte Symbiose mit der Natur in Sachen Landschaftsgestaltung zeichnen die Arbeiten des Designers John Wardley aus. Der Name "Air" ist Programm.

Wie schon bei den beiden anderen B&M Bahnen in Alton Towers führen Wege durch die Anlage, Ruhezonen wurden so platziert, dass man dem Treiben der drei Züge zusehen kann, und der gesamte Wartebereich gibt den Besuchern Gelegenheit, die Anlage genauer zu studieren. Diese Interaktion überbrückt die Wartezeit schnell - zwei Stunden sind zu Spitzenzeiten die Regel, was selbst die Doppelladestation nicht zu minimieren weiss. Um dem vorzubeugen setzt Alton Towers ähnlich wie die Disney Themenparks auf ein kostenfreies Reservierungssystem namens Q-Line.

Langsam nähert man sich der Doppelladestation, wird einem Zusteigebereich zugeteilt und darf sich beim Betreten der unterhalb des Geländeniveaus liegenden Bahnhofsstation für die erste oder eine der anderen sechs Reihen entscheiden. Wer freie Sicht in Fahrtrichtung wünscht, muss sich zusätzliche 30 Minuten gedulden, ansonsten sind die Beine des Vordermanns im Weg und nur der Blick gen Boden frei. Eine komplette Sichtbehinderung, vor allem für die innen sitzenden Personen, ist bei Air jedoch nicht vorhanden.

Immer näher kommt der Besucher dem durchgestylten, grau-türkisen Flugapparat, dann darf der Platz eingenommen werden. Der Zustieg geschieht wie bei einem gewöhnlichen Inverter. Der Schulterbügel wird manuell geschlossen und mechanisch daran gekoppelt umschließen Halterungen die Unterschenkel. Erst bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass der mit dem Sitz abschließende und recht offen gestaltete Schulterbügel zusätzlich zwei elastische Gummielemente beinhaltet, welche sich wie eine Weste um den Oberkörper legen. Die Fahrgäste sind nun bereit, das "Flugerlebnis" kann beginnen: Das Licht färbt sich neongrün/türkis und eine an den Schienen ortsfest angebrachte Mechanik hievt alle sieben Viererreihen gleichzeitig in die waagerechte Liegeposition. Das zur Kippbewegung notwendige Getriebe ist direkt an der Gondel angebracht und verriegelt nach Einnehmen der Liegeposition automatisch.

Assume your position

Tunnelquerung in der Flugposition

Den Kopf in Fahrtrichtung, schieben Reibräder den Zug in einen dunklen, unterhalb des Vorplatzes führenden Betontunnel, der sein Ende am Lifthill findet. Die Kette greift sich den tonnenschweren Zug, es geht aufwärts. Zum ersten Mal werden sich die Fahrgäste ihrer "hängenden" Liegeposition richtig bewusst. Die Weste hält den Oberkörper, die Füße sind durch die Fesseln arretiert, nur Kopf und Arme können geringfügig bewegt werden.

Langsam zieht der Kettenlift den Zug in die Höhe, ein Höhenunterschied von 20 Metern will überwunden werden. Dann wird es ernst: Die erste Abfahrt reißt den Zug ein Stück in die Tiefe, eine von den wartenden Besuchern nicht einsehbare 180° Rechtskurve führt das Gefährt noch näher an das Geländeniveau heran, bis ein sich anschließendes Geradenstück die liegenden Fahrgäste erschreckend nahe den Erdboden streifen lässt. Das Blitzlichtgewitter der Photoanlage erhellt die Szenerie, die wartenden Personen schauen begeistert dem Treiben des Zuges zu. Den ersten Schreck überwunden werden einige Fahrgäste mutiger, lösen ihre verkrampfte Armhaltung und strecken diesen gen Boden aus. Dem Lichtraumprofil sei dank, bleiben Kontakte der Extremitäten mit ortsfesten Objekten aus.

270° Kurve über die Köpfe der Besucher hinweg

Die Streckenführung ist von einfacher Gestalt: Nach dem First Drop, der in besagter Geraden parallel zum Lifthill endet, folgt ein verschlungener Teil durch und über die Wartezone hinweg. Als Finale schließt sich eine in einem schwer einzusehenden Berech installierte Kehrtwende in Bodennähe an. Nach 840 Streckenmetern und einer effektiven Fahrzeit von 50 Sekunden - First Drop bis Schlussbremse - ist das Flugerlebnis beendet.

Zurück zur Fahrt: Nach Passieren der Fotoanlage gewinnt der Zug wieder an Höhe zu, um am Scheitelpunkt des folgenden Hügels eine 180° Drehung um die Längsachse zu vollziehen. Auf dem Rücken liegend folgt ein tiefer Drop mitten hinein in eine Senke. Genau dort wo die Warteschlange auf die zwei Stationen aufgeteilt wird, erreicht die Streckenführung ihren lokalen Tiefpunkt. Starke g-Kräfte lasten auf den Fahrgästen, die gänzlich in ihren "Liegesitz" gepresst werden. Dabei erscheint dieser Streckenabschnitt recht ungewöhnlich, schließlich durchkreuzt der Fahrgast liegend ohne einen Fixpunkt vor Augen das Areal.

Immer noch in der Rückenlage verharrend folgt eine weite, aufsteigende Linkskurve. Das Eingangsportal wird gestreift, bis schließlich eine weitere 180° Drehung um die Längsachse die Wagen mitsamt ihrer Insassen in die bevorzugte Flugposition bringt. Mit Top-Speed rast der Zug dann durch einen kleinen Tunnel unterhalb des befestigten Fußweges hindurch, linker Hand kann kurz der Air-Shop erspäht werden, um im nächsten Augenblick in einer 270° Kurve über die Köpfe der staunenden Besucher und dem höher gelegenen Vorplatz hinweg zu gleiten.

Fast parallel zur ersten Inversion geht es danach kurz hinab, um Schwung für die Revolution, einen Hügel mit integriertem Heartline-Spin, zu nehmen. Eine volle 360° Drehung, dann wird kurz der Unterstand und Wartungsbereich der Züge gestreift und schließlich zwingt die Stahlschiene das Gefährt in Richtung Finale. Eine mit gutem Tempo durchfahrene Helix gibt den letzten Adrenalinkick, der Boden kommt dabei bedenklich nahe. Dann folgen die letzten Schienenmeter zur Station, wo der Zug eine angenehme Verzögerung erfährt.

Der Eingangsbereich von Air in voller Breite

SW 5 - Ein Fazit

Links: Ausfahrt der 270° Helix und Einfahrt in den Inline Twist

Um die neueste "Geheimwaffe" von Alton Towers wurde in den Tagen ihrer Installation ein regelrechter Hype ausgetragen. Alton Towers versteht etwas vom Marketing. Doch wird der Traum vom Fliegen tatsächlich wahr? Die Antwort lautet: Ja und Nein!

Das Fahrsystem ist gut durchdacht, der Einstieg äußerst komfortabel gestaltet und das Design der Züge stimmig. Der Fahrgast fühlt sich in den wuchtigen Reihen sicher aufgehoben, schließlich wird er äußerst ergonomisch vom Schulterbügel umschlossen. Platzangst bleibt ein Fremdort, die eigentliche Sicherungsfunktion übernimmt die integrierte "Gummiweste". Pro Zug werden alleine vor Fahrtantritt rund 200 Sensoren abgefragt und per Funk zum Zentralcomputer übertragen, der die Signale auswertet und bei grünem Licht die Startfreigabe erteilt. Sicherer geht es fast nicht mehr.

Einzig und allein die Fahrt an sich mag nicht gänzlich überzeugen. Zwar ist Air das Erstlingswerk von Bolliger & Mabillard, doch wer sich zuvor auf die "berüchtigte" G-Schleuder Nemesis gewagt hat, dem erscheint die Flugmaschine wie eine Kaffeefahrt: Beschleunigungswechsel sind fast nie zu spüren, das Tempo ist stets gedrosselt und dann wird das einmalige aber leider recht kurze Flugerlebnis durch den länglichen etwas unbequemen, auf dem Rücken liegenden Abschnitt unterbrochen.

Keine Frage: Das Fahrgefühl ist einmalig, die Thematisierung etwas karg aber gelungen, doch irgendetwas fehlt zur perfekten Bahn. Eine zweite Nemesis für die Flugbegeisterten wird Air aber nie werden.

Text / Bilder: Coastersandmore - jp

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