|
Prototyp Fahrzeug auf der Teststrecke in
Vorarlberg |
Achterbahnen gelten seit Jahrhunderten als Spaß-
und Vergnügungsmaschinen, die jährlich Millionen von Fahrgästen
Vergnügen, Thrill und wohlige Angst bereiten. Die Coaster GmbH aus
Nüziders in Österreich hat sich jetzt als Ziel gesetzt, Achterbahnen
als Transportmittel einzusetzen. Kleine Fahreinheiten sollen insbesondere als
Zubringer in Großsystemen dienen, beispielsweise bei P+R-Systemen oder in
Skigebieten.
Bei dem Besuch eines Downhill-Seifenkistenrennens in
Neuseeland im Jahr 1995 hatte Rainer Perprunner, der Gründer und
Geschäftsführer der Coaster GmbH, die Idee, ein System aus
kleinen schnellen Fahreinheiten als Transportmittel zu entwickeln. 1999 wurde
die Coaster GmbH eigens für die Entwicklung des Systems
gegründet. "Die Grundidee ist der bedarfsorientierte Einsatz von
schienengebundenen Fahrzeugen mit geringer Anzahl an Sitzplätzen, die mit
einer Eigenintelligenz ausgestattet sind und eine dezentrale Steuerung der
gesamten Anlage ermöglichen", berichtet Rainer Perprunner. Der
Leitstand übernimmt hauptsächlich eine Überwachungsfunktion.
Das System basiert auf einer Achterbahnschiene in
Fachwerkstruktur bzw. einer Dreigurtschiene, die einen Stützenabstand von
bis zu 36 Metern ermöglicht. Damit lässt sich der Coaster auch in
schwierigem Gelände ohne allzu großen Aufwand installieren. Zur
Flexibilität trägt auch der formschlüssige Zahnradantrieb bei,
durch den Anstiege bis zu 55 Prozent (entsprechend 28,8 Grad) Steigung fahrbar
sind. Dazu ist an der Schiene ein sogenannter Triebstock montiert, ein Profil,
in das ein am Fahrzeug angebrachtes, angetriebenes Zahnrad eingreift. "Durch
den Zahnradantrieb ist die Position jedes Fahrzeugs ständig exakt bekannt.
Außerdem benötigen wir kein Blocksystem und können eine sehr
enge Taktung erreichen", sagt Florian Oberforcher, Leiter
Projektmanagement der Coaster GmbH. Die Zahnräder bestehen aus
Kunststoff, die weicher sind als der metallene Triebstock. "Dadurch nutzt nicht
der Triebstock ab, sondern das Zahnrad. Das reduziert die Wartungsarbeiten an
der Strecke, und die Fahrzeuge befinden sich ohnehin regelmäßig im
Inspektionsbereich", fügt er hinzu.
|
Die Teststrecke aus Dreigurtträgern
bietet Steigungen von bis zu 29 Grad |
Die kleinen Fahrzeuge lassen Kurvenradien ab sechs Metern
und damit eine äußerst kompakte und individuelle
Schienenführung zu. Das Fahrwerk aus einem Laufrad und zwei schräg
angeordneten Gegenrädern hält das Fahrzeug sicher auf der Schiene.
Die Elektromotoren der Fahrzeuge werden durch eingebaute Batterien gespeist,
weshalb eine Stromversorgung entlang der Strecke entfällt. Entwickelt
wurden die crashsicheren Batterien ursprünglich von Mercedes-Benz
für Elektrofahrzeuge. Aufgeladen werden sie beim Bremsen beispielsweise
auf abschüssigen Streckenabschnitten oder in den Haltestellen. Im
Gegensatz zu herkömmlichen Batterien verlängert sich ihre Lebensdauer
bei schneller Ladung und Entladung.
Der Antrieb jedes Fahrzeugs ist von der Batterie bis hin zum
Zahnrad doppelt vorhanden. Prinzipiell wird der sichere Betrieb durch einen
Antrieb alleine gewährleistet, die redundante Auslegung führt neben
der höheren Ausfallsicherheit aber auch zu einem verringerten
Verschleiß. Auf dem Fahrzeugrahmen lassen sich je nach Anwendung die
verschiedensten Aufbauten realisieren. "Zwischen Rahmen und Oberwagen sind vier
Schnittstellen vorgesehen, die einen modularen Aufbau ermöglichen",
berichtet Florian Oberforcher. Die Standardausführung wird aus
sechs- oder achtsitzigen Kapseln bestehen, die entsprechenden Stauraum für
Gepäck oder Kinderwagen bieten. Für Skigebiete sind Stehwagen
möglich, die Halterungen für Skier oder Snowboards aufweisen.
Prinzipiell ist auch ein Einsatz im Vergnügungssektor denkbar,
insbesondere in Mischungen aus Themenfahrt und Achterbahn: Einerseits lassen
sich die Wagen vorwärts wie rückwärts exakt positionieren,
andererseits sind Geschwindigkeiten von bis zu 80 km/h erreichbar. |
|
Auch im Winter ist der Einsatz nicht
gefährdet |
Ein wesentlicher Vorteil des Coasters ist der
bedarfsgerechte Einsatz. Kostpielige Leerfahrten ungenutzer Fahrzeuge finden
nicht statt, außerdem sind bei Wartungs- oder Reparatureinheiten nur
kleine Fahrmodule mit wenigen Plätzen betroffen. Die Strecke besteht
üblicherweise aus einem geschlossenen Rundkurs, die Stationen sind
"offline" gestaltet: "Für die Stationen werden die Wagen mit Weichen aus
dem Rundkurs herausgenommen. Dadurch haben wir keine Hindernisse auf der
Fahrstrecke", erklärt Florian Oberforcher. Nicht im Einsatz
befindliche Fahrzeuge werden dezentral in den Stationen geparkt, weshalb im
Normalfall Wagen ohne längere Wartezeit verfügbar sind.
Jedem Fahrzeug ist der Status des Gesamtsystems bekannt.
Zwischen den Wagen und mit dem Leitstand werden sicherheitsrelevante Daten, zum
Beispiel Steuerungsinformationen, über Sicherheitsfunk ausgetauscht,
für unkritische Informationen wie Wirtschaftsdaten wird Betriebsfunk
eingesetzt. Nicht zuletzt dadurch wird ein schneller Datenverkehr erreicht,
denn Informationen von einem benachbarten Fahrzeug werden nicht über eine
Zentrale vermittelt. Damit lässt sich ein 10-Sekunden-Takt der Wagen
realisieren, was bei achtsitzigen Fahrzeugen einer stündlichen
Kapazität von 2880 Personen entspricht. Je nach Kundenwunsch sind die
Fahrzeuge in einer offenen Version oder geschlossen lieferbar.
|
Der Coaster ist fit für den
Bergeinsatz |
Erste Praxiserfahrungen konnten auf dem Testgelände im
österreichischen Bürserberg nahe dem Firmensitz gesammelt
werden. Durch die Berglage der 300 Meter langen Teststrecke ist sogar ein
Schienenabschnitt mit ca. 60 Prozent Steigung ohne größere
Stützenkonstruktion möglich gewesen, und im Winter sorgten Eis und
Schnee für Bedingungen, wie sie in einem Skigebiet anzutreffen sind.
"Unsere bisherigen Erfahrungen sind sehr vielversprechend. Aufgrund der Tests
haben wir viele kleinere Verbesserungen vorgenommen. So ist beispielsweise die
Entwicklung eines neuen Triebstocks beinahe abgeschlossen, der nicht sehr so
schnell verschmutzt", erklärt Florian Oberforcher. Insgesamt wurden
in die Entwicklung des Coaster und den Aufbau der Teststrecke bisher ca.
fünf Millionen Euro investiert.
Die Resonanz potentieller Kunden ist enorm, nicht zuletzt
aufgrund der Berichterstattung in verschiedenen Fernsehsendungen in den letzten
Monaten. "Wir haben derzeit zwischen 70 und 80 Anfragen aus aller Welt", sagt
Rainer Perprunner. "Bei 10 bis 20 geht es um konkrete Anlagen, bei vier
Interessenten sind die Planungen schon weit fortgeschritten." Im März 2006
konnte dann der erste Verkauf vermeldet werden. Eine ca. 530 Meter lange
Strecke wird ab der Wintersaison 2006/2007 das Tschuggen Grand Hotel in
Arosa/Schweiz mit einer Berghütte in dem dortigen Skigebiet verbinden.
Zwei Fahrzeuge mit jeweils 8 Sitzplätzen werden im Pendelbetrieb
verkehren. Zum Ausgleich der Längsneigung, die die Fahrzeuge bei den zu
überwindenden 152 Metern Höhenunterschied aufweisen, werden die Sitze
hydraulisch in der Waagerechten gehalten. Unter der Federführung der
Fanzun AG konnte in Zusammenarbeit mit den lokalen und kantonalen
Behörden, den Grundeigentümern sowie den Umweltschutzverbänden
innerhalb von drei Jahren eine raumplanerisch für alle verträgliche
Lösung entwickelt und genehmigt werden.
|
Gondel für die erste Auslieferung in
die Schweiz |
"Für unsere erste Auslieferung sind bis zu fünf
Fahrzeuge ideal", sagt Florian Oberforcher. "Die Anlage erfordert die
Koordination mehrerer Fahrzeuge, ist in ihrer Komplexität aber noch gut
überschaubar." Rainer Perprunner ergänzt noch einen weiteren
Vorteil des Systems: "Prinzipiell sind die Größe und die Struktur
der Strecke nicht begrenzt. Außerdem lässt sich jedes System
dynamisch erweitern, sowohl bezogen auf die Strecke als auch auf die Anzahl der
Wagen." Die Anschaffungskosten sind stark vom Schienenverlauf und der Anzahl
der Fahrzeuge abhängig und belaufen sich auf etwa 2,2 bis 3,5 Millionen
Euro pro Streckenkilometer. Die Coaster GmbH übernimmt die Planung
und Projektleitung des Coasters, produziert wird ausschließlich
von Zulieferern. Einzig die Endmontage der Fahrzeuge geschieht inhouse.
Mit ihrem System bietet die Coaster GmbH ein
skalierbares Transportmedium, das aufgrund seines bedarfsorientierten Betriebes
geringe Betriebskosten verspricht und auch für unwegsames Gelände
geeignet ist. Darüber hinaus ist die Kombination aus exakter
Positionierbarkeit und einer Maximalgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern
auch für Freizeitparks interessant, die eine Kombination aus Themenfahrt
und Achterbahn realisieren möchten. Man darf also gespannt sein, wie sich
die erste Auslieferung bewährt. |